Alfa Giulia: Giuliettas große Schwester
Sie hat ihre Liebhaber lange warten lassen, doch wer sich einmal in seine Angebetete verguckt hat, der hat Zeit. Und schließlich ist die Vorfreude bekanntlich die größte Freude. Endlich startet jetzt wieder eine Giulia in der Alfa-Romeo-Modellpalette durch und zeigt, wie man in Italien das Segment sportliche Limousinen definiert. „Endlich“, stöhnen auch die Fans der Marke, die sich auch durch die Irrungen und Wirrungen der vergangenen Jahre nicht von ihre Leidenschaft haben abbringen lassen. Die Giulietta hat nun endlich eine große Schwester bekommen.
Die Liebhaber der Marke, die 1910 nach einigen Problemen mit dem ursprünglichen Gründer Alexandre Darracq in Mailand an den Start ging, sind offensichtlich mit einem ganz speziellen Geduld-Gen ausgestattet. Sie leiden und warten, und wenn am Ende – wie jetzt – wieder ein echter Alfa Romeo steht, greifen sie zu und vergessen die Vergangenheit. Das Segment Sportlimousine wurde einst von Alfa geprägt, auch wenn damals niemand in diesen Kategorien dachte. Kern diese Klasse war die Giulia, eine dynamisch ausgelegte Limousine, in der Vater zeigen konnte, wie viel Rennfahrer in ihm steckte.
Nach langer Unterbrechung rollt mit der aktuellen Giulia wieder ein als Limousine getarnter Sportler auf die Straße, bei dem sich die Entwickler auf die klassischen Werte besonnen haben. Die Antriebsachse liegt natürlich hinten, auch wenn inzwischen viele Mitbewerber den Frontantrieb für sich entdeckt haben. Zwar hatte Alfa die Nachfolger der legendären ebenfalls mit Frontantrieb auf die Reise geschickt, doch nach dem Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, setzen die Ingenieure heute wieder auf den traditionellen Heckantrieb.
Alfa Romeo hat seinem Klassiker bei der Neuauflage ein markentypisches Design gegönnt, das irgendwo zwischen der klassischen Formensprache und dem dynamischen Auftritt à la Italia liegt. Zum Glück verzichteten sie dabei auf nostalgische Zitate beim Design. Der typische Kühlergrill samt Markenzeichen dominiert die Frontpartie des rund 1.5 Tonnen schweren Viertürers. Im Innenraum herrscht wohltuende Nüchternheit. Vor dem Fahrer liegt eine übersichtlich angeordnete Instrumentensammlung, und Hebel und Schalter sind da, wo man sie erwartet. Die Geschwindigkeit wird gleich doppelt angezeigt. Neben einem großen Rundinstrument informiert eine Digitalanzeige über das aktuelle Tempo.
Die gewählten Materialien des Innenraums machen einen wertigen Eindruck und entsprechen dem Standard in diesem Segment. Die wohlgeformten Sitze gestalten den Aufenthalt für Fahrer und Passagiere dank der guten Seitenführung und der angenehmen Polsterung (nicht zu hart oder zu weich) problemlosen Erlebnis. Bei der Ausstattung hielten sich die Italiener nicht zurück und spendierten der Sportlimousine bereits in der Basis-Version unter anderen einen Tempomat, Klimaautomatik und Leichtmetallräder.
Allerdings müssen sich Giulias Freunde vorerst an eine neue Geräuschkulisse gewöhnen, denn ihre Giulia hat sich zum Auftakt mit Rudolf Diesel verbündet, was sich mit einem dezenten dieseln bemerkbar macht. Doch einmal in Fahrt zeigt sich die Giulia, vor allem bei dem 180 PS starken Aggregat von ihrer dynamisch-sportlichen Seite. Leistung ist ständig vorhanden, und wenn man das exakt schaltende Sechs-Gang-Getriebe (gegen Aufpreis ist eine Automatik liederbar) entsprechend bemüht, steht dem sportlichen Vorankommen auf der Landstraße nichts entgegen. Dabei entwickelt die Giulia dank des sauber abgestimmten Fahrwerks eine Mischung aus Komfort und Sport. Souverän werden auch schlechte Fahrbahnen geschluckt und schnelle Kurvenfahrten meistert die Limousine beeindruckend – vorausgesetzt der Fahrer akzeptiert die Gesetze der Physik.
Die Leistungspalette der Giulia beginnt bei vergleichsweise bescheidenen 136 PS. Eine Leistungsstufe höher ist die Variante mit 150 PS angeordnet, und die Rolle des Spitzensportlers übernimmt die 180 PS starke Variante. Die Benzin-Abteilung vertritt vorerst das Spitzenmodell Quadrifoglio verde mit einem 2.9 Liter-Biturbo-V6, der 510 PS leistet. Weitere Benziner folgen im Herbst. Der Zweiliter-Turbo soll zwischen 200 und 280 PS leisten.
Basis für die neue Giulia ist eine intern „Giorgio“ genannte Plattform, und wenn Giorgio mit der Giluia… dann entstehen bis zum Jahr 2020 insgesamt sieben weitere sieben Modelle, unter anderem drei SUV und weitere Varianten. Dazu gehören auch eine größere Limousine (vielleicht eine Neuauflage der Alfetta?) und ein Coupé. Bis zum Ende der Entwicklungszeit werden insgesamt fünf Milliarden Euro investiert sein. Nach den Plänen von Konzernchef Sergio Marchionne soll Alfa dann 400.000 Autos pro Jahr verkaufen. Dazu beitragen sollen nach diesen Plänen auch die Rückkehr auf den US-amerikanischen Markt und der Start in China.
hak/am