BMW R Nine T
Liebhaber von rassigen, charakterstarken Roadstern mussten sich in der jüngsten Vergangenheit entweder selbst einen Umbau auf die Räder stellen oder sich bei den italienischen Marken bedienen. Im Programm von BMW fanden sich bis dato nur brave, biedere Naked Bikes – bis zum Erscheinen der R Nine T (sprich: ninety = 90). Der Name ist eine Hommage an 90 Jahre Motorradbau durch die Marke mit dem Propeller – und stilgerecht kommt das Modell auch ganz im Retrolook gehalten zu den Händlern. Puristisch, ohne jeglichen Tand und Blendwerk.
Man spürt förmlich, mit wie viel Liebe dieses Bike entworfen wurde, das Auge entdeckt immer wieder neue Details. So zum Beispiel das BMW-Emblem im Rundscheinwerfer oder die schönen Aluschmiedeteile. Das edle Finishing setzt sich mit den schwarz eloxierten Drahtspeichenrädern und der goldfarbenen Upside-Downgabel fort. Die Nine T ist neben den beiden S-Modellen das einzige Bike im Portfolio, bei dem BMW auf das gewöhnungsbedürftige Telelever verzichtet hat. Geduckt kommt sie daher, die Bayerin. Rein optisch versammelt sie ihre Masse um den luft-/ölgekühlten 1.170-Kubik-Boxer-Twin, der in anderen Modellen bereits vom luft-/wassergekühlten Nachfolger ersetzt worden ist. Das Aggregat übernimmt im mehrteiligen Gitterrohrrahmen eine mittragende Funktion und gibt seine 110 PS durch eine in einer schönen Einarmschwinge untergebrachte Kardanwelle ans Hinterrad weiter. Leicht nach vorne gebeugt nimmt der Fahrer auf dem straffen, aber nicht unbequemen Sitzbrötchen Platz. Beim Druck auf den Starterknopf nimmt der Motor mit einem – durch die längs liegenden Kurbelwelle bedingten – leichten Rucken nach rechts und mit einem heiseren Bellen seine Arbeit auf. Wie es sich für ein echtes Charakterbike gehört, dringen wohlige Vibrationen an den Fahrer und lassen die Gabel samt der gut ablesbaren Instrumenteneinheit erbeben. Also im – zumindest für BMW-Verhältnisse – leicht schaltbaren Sechs-Gang-Getriebe den ersten Gang einlegen und los geht’s. Schon auf den ersten Metern zeigt sich, wie sauber die Masse der 222 Kilogramm leichten BMW austariert ist, feinste Richtungsänderungen selbst bei Schrittgeschwindigkeit sind ein Kinderspiel. Nicht zuletzt der mächtig breite Rohrlenker trägt zur Handlichkeit der R nineT bei. Das macht Lust auf Kurvengewusel auf kleinen Hinterlandstrecken. Schnell zeigt sich, welch’ feine und nachgeradezu narrensichere Kombination sich aus dem bulligen Boxer und dem straff abgestimmten Fahrwerk ergibt. Vor der Kurve in die perfekt dosierbaren und mit ABS bewehrten Doppelkolbenbremsen greifen, die Fuhre umlegen und am Kurvenausgang vom bis zu 119 Newtonmeter starkem Drehmoment auf die Gerade hinausschnalzen lassen. Das Kurvenräubern bereitet mit der messerscharf dirigierbaren R NineT und ihrem bärigen Antrieb eine diebische Laune. Untermalt wird die wilde Hatz vom dumpfen Hämmern aus dem Akrapovic-Zwillingsauspuff. Man ertappt sich immer wieder dabei, in Tunneln und Unterführungen noch einmal das Gas aufzureißen, um den Wohlklängen zu lauschen. Was der Bayerin da aus den Rohren entweicht, ist keine Symphonie, sondern Heavy Metal. Kernige Vibrationen dringen dabei an den Fahrer, aber nie aufdringlich oder störend. Im Gegenteil: Bei einem solchen Fahrzeug gehört Gerappel und Gezappel zur Pflichtausstattung. Man spürt es – das Biest lebt.Was der Fahrer auf unebener Piste ebenfalls deutlich zu spüren bekommt, sind seine Bandscheiben, denn der brettharte Heckdämpfer dürfte zum besten Freund der orthopädischen Zunft werden. Dafür hält sich der Verbrauch der Weißblauen in Grenzen: 5,0 bis 5,5 Liter pro 100 Kilometer bei zackiger Landstraßenfahrt gehen angesichts der ordentlichen Fahrleistungen absolut in Ordnung. Mit der NineT hat BMW einen Landstraßenjäger par excellence auf die Räder gestellt – ein Motorrad, das fast jeder fahren kann und fast jedem Zweck dient. Einzig auf langen Autobahnetappen schlaucht der mangelnde Windschutz den Fahrer. Und das alles haben die Münchener auch noch in ein attraktives Gewand gehüllt, das – zumindest ab Werk – seinesgleichen sucht. Dafür muss der Biker den Geldbeutel aber auch weit aufmachen: 14 500 Euro sind selbst angesichts der edlen Bauteile und dem tollen Finish alles andere als ein Pappenstil für ein Puristenbike ohne jedweden Schnickschnack. Und wer LED-Blinker, Heizgriffe, einen Fahrersitz mit gesticktem Schriftzug und den wunderschönen Alu-Soziushöcker an Bord haben möchte, darf noch einmal rund 1100 Euro bereitlegen. Weiteres Zubehör umfassen unter anderem passende Gepäckstücke und eine Auspuff-Adapterrohr für die Höherlegung der Schalldämpferanlage.Es war noch nie billig einen besonderen Geschmack zu haben. Doch wer das Geld in die R NineT investiert, bekommt neben jeder Menge Fahrspass auch noch einen echten Neo-Klassiker obendrein. Und sorgt für eine Menge Gesprächsstoff am Motorradtreffpunkt.
Thomas Mendle