Cadillac CT6 Plug-in-Hybrid – Komplexitätswunder aus Amerika
Cadillac CT6 Plug-in-Hybrid – Komplexitätswunder aus Amerika. Das Image Amerikas hat im letzten Jahr gelitten, Kritik am großen Bruder aus Übersee ist en vogue. Ob das ein Grund dafür ist, dass die Nobelmarke Cadillac in Europa so selten zu sehen ist? Denn an den Autos kann es nicht liegen. Das Spitzenmodell CT6 beispielsweise ist das leichteste und wohl auch dynamischste Fahrzeug seiner Klasse. Und damit ist es auch für eine hypothetische Zukunft gerüstet, in der die E-Mobilität sich durchsetzt: Selbst mit dem zusätzlichen Elektromotor und dem massiven Batteriepack glänzt er mit ungewöhnlich niedrigem Gewicht.
Der CT6 Plug-in-Hybrid, den wir in den USA ausgiebig testen konnten, zeichnet sich zudem durch eine sehr harmonische Abstimmung aus. Unter der Haube steckt ein 2,0 Liter Vierzylinder-Turbo, gekoppelt an einen starken Elektromotor. Die Spitzenleistung liegt bei kombinierten 340 PS, und eigentlich fühlt sich dieser Hybrid sogar noch stärker an. Er ist leise, tritt aber zackig an. Die Kraft wird über ein variables Getriebe an die Hinterachse geleitet. Keine Spur vom unharmonischen Gebaren der GM-Hydramatic, die in den konventionellen CT6-Modellen eingebaut wird. Der Rekuperationsgrad lässt sich über Paddel variieren.
Die 18,4-kWh-Batterie kommt aus dem Chevrolet Volt, die Betriebsstrategie ist beim Cadillac jedoch anders ausgelegt. Während der Volt sich weitgehend auf die Batterie verlässt, bis sie leer ist, legt Cadillac das Augenmerk eher auf die Boost-Funktion. Man kann jedoch auch rein elektrisch fahren, und dann reicht der Saft maximal für 50 Kilometer. Bei hauptsächlicher Nutzung dieser 5,18-Meter-Limouine im Stadt- und Nahbereich lassen sich die Tankvorgänge auf ein Minimum reduzieren. Zuhause ist der CT6 jedoch eher auf der Landstraße und der Autobahn.
Das Fahrwerk des CT6 Plug-in-Hybrid gibt Anlass zur Freude. Der Cadillac kennt praktisch keine Seitenneigung, die Lenkung ist ungemein präzise. Das Bremsgefühl leidet allerdings unter der Hybridisierung; der Übergang vom regenerativen zum konventionellen Bremsen findet – wie bei fast allen Hybriden – ohne brauchbare Rückmeldung statt.
Und es gibt weitere Nachteile gegenüber dem Ausgangsmodell, die mit den Package-Problemen des Hybriden zu tun haben: Die elektrisch verstellbare Rückbank ist hier ebensowenig zu bekommen wie die aufwendige Bose-Paneray-Stereoanlage. Und selbst, wer auf diese Merkmale keinen Wert legt, wird bedauern, dass die Kapazität des Kofferraums gravierend eingeschränkt ist.
Ansonsten sitzt man auf allen Plätzen hervorragend. Das Raumangebot ist äußerst großzügig, das Armaturenbrett zeichnet sich durch edle Materialien und eine moderne Formensprache aus. Und die serienmäßigen Bildschirme in den Rückenlehnen der Vordersitze sind so perfekt integriert wie in keinem anderen Auto der Oberklasse: Sie fahren per Knopfdruck aus der Lehne nach oben aus.
Und auch das Exterieur des CT6 gefällt: Er sieht modern und reduziert aus, mit schlanken, vertikal angeordneten Scheinwerfern und Heckleuchten. Nur zwei Details unterscheiden den Plug-in von seinen Schwestermodellen: Der Stecker zum Nachladen auf der linken Seite gegenüber der Tankklappe – und der Schriftzug am Heck: 2.0 E. Wir haben es nicht mehr für möglich gehalten, dass in Zeiten allgemeiner Aufschneiderei ein Hersteller noch selbstbewusst genug ist, den tatsächlichen Hubraum anzugeben. BMW und Mercedes-Benz mögen sich nicht nur in dieser Hinsicht eine Scheibe von den Amerikanern abschneiden.
Wer einen Plug-in-Hybrid fahren will, ob nun aus Angst vor Einfahrbeschränkungen in den Städten, wegen staatlicher Vergünstigungen oder um ein „grünes“ Statement abzugeben, findet im GT6 Plug-in-Hybrid eine besonders individuelle Alternative zu den deutschen Platzhirschen. So groß wie ein 7er, aber so dynamisch wie der 5er hätte dieser sehr gut ausgestattete, in China gebaute Cadillac das Zeug zu einem veritablen Wettbewerber in der Klasse um 70.000 bis 80.000 Euro. Mit anderen Worten: Er könnte dem Image der Vereinigten Staaten in Europa nur zuträglich sein.
Schade eigentlich, dass Cadillac sich noch nicht zu einer Markteinführung in Europa durchgerungen hat. Die Entscheidung, so heißt es in der Züricher Europazentrale, stehe noch aus.
jj/amp