Der schwierige Weg zur E-Mobilität
„Ein Unternehmen müsste bei solchen Zahlen Insolvenz anmelden“, kommentierte Autorexperte Ferdinand Dudenhöfer vom CAR-Institut der Uni Duisburg-Essen jüngst im Rahmen des Nissan-Symposiums über E-Mobilität die Bilanz der Bundesregierung zur Elektrifizierung des Individualverkehrs. Als Weltmarktführer in Sachen Elektromobilität hat sich der japanische Autohersteller auf die Fahne geschrieben, die Verbreitung der elektrischen Fahrzeuge massiv voranzutreiben. Die Runde der Experten war sich in einem einig: Bis tatsächlich ein nennenswerter Anteil an Fahrzeugen mit E-Motoren auf den Straßen unterwegs ist, liegt vor Herstellern, Energiewirtschaft und Politik noch ein langer steiniger Weg.
E-Mobilität ist beileibe keine kein visionäres Gespinst aus der Öko-Ecke mehr. In Norwegen ist jedes fünfte Automobil mit einem E-Antrieb unterwegs. Der bevölkerungsreichste US-Bundesstaat Kalifornien marschiert dank strammer Vorgaben auf einen Anteil von rund einem Viertel E-Autos zu und wird ab 2030 keinen Verbrenner mehr zulassen. In Deutschland, dem Land der Autoerfinder und gefühlten Technologie-Vorreiterschaft zeichnet die bisherige Bestandsaufnahme eher ein bescheidenes Bild. „Eine Million Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb auf deutschen Straßen für das Jahr 2020“ hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 angekündigt. Die Zulassungszahlen des Kraftfahrtbundesamts sprechen da eine ganz andere Sprache. 2014 kamen 9425 E-Autos neu auf die Straße, im ersten Halbjahr 2015 waren es 5126 Einheiten. Fakten, die Ferdinand Dudenhöfer mit einem wirtschaftlichen Bankrott gleichsetzte.
Eine Bilanz, die auch die Industrie nicht froh stimmen kann. Mit rund 200 000 E-Autos ist Nissan der amtierende Weltmarktführer in Sachen E-Mobilität. Für einen Global Player lohnt sich das Engagement in die elektrische Antriebstechnik. Von 2013 bis 2014 wuchs der weltweite Markt für E-Autos um 32 Prozent. Nissan steigerte seinen Absatz in diesem Segment im gleichen Zeitraum um 141 Prozent.Thomas Hausch, Chef von Nissan Europa, begrüßte im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Markts ausdrücklich auch die Bemühungen anderer Hersteller wie BMW mit seinen „i“-Modellen: „Jedes neue elektrische Auto ist ein gutes Auto.“ Mit 40 000 verkauften Einheiten der kompakten Limousine Leaf auf dem Europäischen Markt bestreitet Nissan 25 Prozent des aktuellen Markts für E-Autos.
Antworten auf die Frage: „Wie kommt das E-Auto in Deutschland in Fahrt?“, wie sie Ferdinand Dudenhöfer stellte, fallen gleichermaßen vielfältig wie komplex aus. Ein Faktor, der sich negativ auf die Entwicklung der E-Mobilität generell auswirkt, ist der derzeit niedrige Ölpreis. Ein Parameter, den Experten nicht als vorübergehende Erscheinung einschätzen, sondern als zumindest mittelfristigen Trend.
Der gravierendste Nachteil, der E-Autos derzeit anhaftet ist die noch zu geringe Reichweite, die sie für den Einsatz auf mittleren und langen Wegstrecken disqualifizieren. Hier sieht Ferdinand Dudenhöfer die Autobauer in der Pflicht – mit dem Hinweis auf Tesla Motors. Der amerikanische Spezialist für E-Autos mit 3,2 Milliarden Dollar Umsatz und 2014 rund 33 000 verkauften Fahrzeugen bietet inzwischen bis zu 500 Kilometer Reichweite. Klare Worte fand Dudenhöfer in diesem Zusammenhang für die Plug-in-Technik: zu komplex, zu teuer, zu ineffizient.
Enorme Hausaufgaben liegen auch vor der Energiewirtschaft. Dr. Arnd Neuhaus, Vorstandsvorsitzender des Energiekonzerns RWE, ist sich der Bedeutung der erforderlichen Neuerungen und Umweltzungen in Richtung breit aufgestellter E-Mobilität bewusst: „Wir erleben derzeit eine neue industrielle Revolution“. Bei allen Beteiligten herrscht in einem Punkt Übereinstimmung: Einen positiven Umweltaspekt der E-Mobilität sichert nur der Ausbau erneuerbarer Energieträger. Der Energiemanager schrieb sich für seine Branche auf die Fahnen: Ausbau intelligenter Stromnetze und eine deutliche Verbesserung der Energieeffizienz aller elektrischen Verbraucher. von der Glühbirne, über das Küchengerät bis zum E-Auto.
Was unter intelligenten Stromnetzten zu verstehen ist, rekapitulierte Neumann in Stichworten. Sie umfassen die Vernetzung aller lokalen Stromerzeuger, vom Gemeinde-Blockkraftwerk bis zur Photovoltaik-Anlage im privaten und gewerblichen Bereich. Dazu gehören quasi „internetfähige“ Netze, die den Kunden anleiten. Denkbar ist beispielsweise die Möglichkeit, die Batterie des Fahrzeugs bei Sonnenschein zu laden. Wird das Auto nicht genutzt, kann es den gespeicherten Strom in das Privatnetzt des Haushalts einspeisen. 24 Kilowattstunden, aktuelle Ladekapazität eines Nissan NV200, versorgen einen Vierpersonen-Haushalt bis zu zwei Tagen mit Strom. Mit rund 4500 Ladestationen, die RWE in Europa derzeit betreibt, ist das Unternehmen führend, aber liefert unterm Strich einen Tropfen auf den heißen Stein. Es fehlt generell an einheitlichen technischen Standards für Ladestecker ebenso, wie ein standardisiertes, einfaches Abrechnungssystem für E-Autofahrer.
Die bisherigen Versäumnisse der Politik stellen der Realität hinter der Energiewende kein gutes Zeugnis aus. Sie konterkariert das Ziel der Luftreinhaltung und Senkung der Feinstaubemissionen, indem sie in Deutschland finanzielle Anreize für Autofahrer, auf ein E-Auto umzusteigen, bisher ausschließt. In China subventioniert die Regierung den Kauf eines E-Autos mit rund 8000 Euro. Das macht auch industriepolitisch Sinn. Denn steigende Nachfrage nach elektrischen Fahrzeugen schafft neue Arbeitsplätze. Der chinesische Autobauer BYD („Build Your Dream“) errichtet derzeit eine heimische Fertigung, die auf 200 000 E-Autos ausgerichtet ist. Gefordert ist aber auch die lokale Ebene. Bei der Ausweisung für E-Auto-Parkplätze herrscht in Städten und Gemeinden noch das reinste Chaos, ebenso bei den Bestimmungen für die Einrichtung von Ladeplätzen im öffentlichen Verkehrsbereich und deren Überwachung. Damit ließe sich auch der wachsende Markt beim Carsharing in den Ballungszentren effizient in Richtung E-Fahrzeuge ausbauen.
tl/amp