E-Mobilität
Ein 14-seitiges im DIN A4-Format ist an die Nissan-Partner gerichtet und trägt die Betreff-Zeile „Einführung Ladestandards“. Als Absender zeichnet die deutsche Niederlassung des japanischen Automobilproduzenten in Köln für den Bereich Elektrofahrzeuge verantwortlich. Bei dem Werk handelt es sich nur um eine Auflistung sämtlicher hierzulande üblicher Stecker, Kabel und Anschlussmöglichkeiten zur Auffrischung von E-Fahrzeug-Batterien und eine Auskunft darüber, welches der in Deutschland gebräuchlichen, rund 22 verschiedenen Autos mit Elektroantrieb vom BMW i3 über den Mitsubishi EV und den Nissan Leaf bis zum Volkswagen E-Up welchen Standard verträgt und welchen nicht.
Da ist von AC und DC die Rede, natürlich nicht von der australischen Rock-Band, sondern nur um Wechsel- beziehungsweise Gleichstrom. Fachbegriffe wie Mode 1, 2 und 3 haben nichts mit Laufstegen in Paris oder Mailand gemeinsam, Typ 1/Typ 2, CCS und Chademo und Tesla- sowie Mennekes-Stecker tragen noch mehr zur Verwirrung bei.
Das ganze, kaum durchschaubare Durcheinander dürfte mit verantwortlich dafür sein, dass es mehr als schleppend mit der Eroberung europäischer Straßen durch rein elektrisch betriebene Automobile vorangeht. Zwar nahm deren Zahl in Prozent gemessen in den vergangenen Jahren exorbitant zu und kletterte 2014 gegenüber 2013 um 40 Prozent, von 2012 auf 2013 gar um sagenhafte 100 Prozent. Für Begeisterung gibt es allerdings beim Blick auf die absoluten Zahlen nicht den geringsten Anlass.
Im Gegenteil. Insgesamt rollen etwa auf Deutschlands Straßen zurzeit lediglich knapp 20. 000 Autos, deren Antriebsstoff ausschließlich aus der Stromleitung kommt, weltweit sind es 400.000. Damit rangieren die Deutschen auf Platz sieben, hinter den USA, Großbritannien, Frankreich, Holland, Japan und Norwegen, Österreich ist sowieso im Nirgendwo. An Versuchen, den Stromern den Weg zum Konsumenten zu erleichtern, mangelt es nicht. Sie reichen von Prämien bis zu 5.000 Euro pro Elektrofahrzeug und Plug-in-Hybrid-Auto für Privatkunden, kostenlosen Strom und kostenlose Parkplätze für Elektroautos in größeren Städten sowie eine erhebliche Verbesserung der Ladeinfrastruktur in Stadt und Land. Finanziert werden könnten die Maßnahmen – so ein Vorschlag – unter anderem durch eine Art zeitlich begrenzten „Solidaritätszuschlag“ auf die fossilen Kraftstoffe an der Tankstelle.
Während in Ländern wie den USA, Japan oder Frankreich Elektromobilität mit umfangreichen Programmen gefördert wird, fehlen bei uns Wachstumsimpulse für Elektrofahrzeuge. „Ein Elektroauto aufzuladen muss genauso einfach werden wie heutzutage die Fahrt zur Tankstelle", sagt etwa der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und startete vergangenes Jahres das Forschungsprojekt „SLAM – Schnellladenetz für Achsen und Metropolen“. Bis zum Jahr 2017 sollen im Rahmen dieses Projektes bis zu 400 Schnell-Ladesäulen aufgestellt werden. Die neuen Stationen können allerdings nur von Fahrzeugen mit dem europäischen Stecker-Standard CCS (Combined Charging System) genutzt werden. Während dieser Standard unter anderem von BMW, VW, Daimler und teilweise GM genutzt wird, fallen Nissan, Toyota, Honda, Mitsubishi, Peugeot, Citroen und sogar Opel mit dem Ampera unter den Tisch. Fahrzeuge dieser Marken benötigen das sogenannte Chademo-System, eine Abkürzung für Charge de Move (wörtlich: Ladung zur Bewegung). Beide Methoden werden inzwischen von der EU anerkannt. Die meisten Elektrofahrzeuge jedoch, die in Europa derzeit unterwegs sind, können nur über die Chademo-Technik schnell geladen werden.
Mit dem CCS-Standard weiß gegenwärtig nur eine Minderheit etwas anzufangen. Das mit Steuergeldern geförderte Projekt mit neuen Schnellladestationen, die ausschließlich den CCS-Standard unterstützen, stellt somit eine Diskriminierung der Autofahrer dar, die sich bereits sehr frühzeitig ein Elektrofahrzeug angeschafft haben, das über den Chademo-Standard schnellgeladen werden muss. Auch der Nissan-Deutschlandchef fand drastische Worte zum Förderprojekt. „Ich fühle mich als Steuerzahler verarscht“, sagte der deutsche Vertreter des Herstellers mit dem derzeit meistverkauften Elektrofahrzeug der Welt, dem Nissan Leaf. 160.000 Einheiten dieses Autos wurden bisher weltweit verkauft, davon mehr als 20.000 in Europa.
Was der Wirtschaftsminister mit dem SLAM-Projekt veranstaltet, riecht stark nach Protektionismus und isoliert Deutschland vom Rest Europas. Offensichtlich sollen Elektroautos aus deutscher Produktion bevorzugt werden.
Um das Tohuwabohu noch zu steigern, haben Fachleute unter Siegmar Gabriel eine neue „Ladesäulenverordnung“ erdacht, die den Ausbau entsprechender Einrichtungen beschleunigen und Rechtssicherheit schaffen soll. Diesmal haben Besitzer von E-Autos der Edelmarke Tesla das Nachsehen. Die Schnell-Ladestationen („Supercharger“), die der kalifornische Hersteller auch entlang deutscher Autobahnen aufbaut, sind bislang nicht mit dem europäischen System kompatibel. Künftig müssen aber neue, öffentlich zugängliche Tesla-Ladesäulen zusätzlich nach dem europäischen Ladesystem funktionieren können.
Gleichzeitig unterstützen Experten unter Verkehrsminister Alexander Dobrindt offene Lösungen. Insider berichten von entsprechenden Anträgen innerhalb der „Transeuropäischen Verkehrsnetze“ der EU zur Verbesserung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes der Union. Interessant dabei: Auch deutsche Autounternehmen, die zunächst bei SLAM mitmischten, sind dabei. Währenddessen entwickeln mit BMW, Nissan und Tesla drei Hersteller von Elektroautos zusammen eine einheitliche Ladestation für die Fahrzeuge.
„Es ist klar: Wenn es eine viel einfachere Möglichkeit für alle gäbe, die Autos aufzuladen, würde jeder davon profitieren“, sagte ein nicht näher genannter Vertreter eines Unternehmens der Zeitung. Damit nicht genug: Im Rahmen des Projektes „Central European Green Corridors“ soll bis Ende 2015 in Österreich, Slowakei und Slowenien ein dichtes Schnell-Ladenetz mit Einbindung von München und Zagreb errichtet werden. Elf Partner, darunter BMW, Nissan, Renault und VW sowie die slowenische Regierung wollen das Netzwerk von Schnell-Ladestationen in Mitteleuropa verdichten und die alltagstaugliche Nutzung von E-Autos komfortabler gestalten. Es geschieht ja doch etwas…