Harley-Davidson Forty-Eight – Überraschend geschmeidig
Harley-Davidson Forty-Eight – Überraschend geschmeidig. Harley-Davidson: Das steht für einen Mythos und für eine Motorradmarke, die auch nicht zweiradaffinen Zeitgenossen ein Begriff ist. Sage und schreibe 34 Modelle, darunter zwei Dreiräder, führt die Broschüre für dieses Jahr auf. Sicher, manche Typen unterscheiden sich nur marginal, aber die Zahl beeindruckt dennoch, schließlich mischt H-D ausschließlich in Hubraumklassen ab 750 Kubikzentimeter mit. Abgesehen von der neuen und in Indien gebauten 750er-Street-Baureihe stellt die Sportster den Einstieg in die klassische Harley-Welt dar– und die erfolgreichste Baureihe der Kultmarke. Eines von aktuell sieben Modellen ist die Forty-Eight.
Die „48“ erinnert an die frühen Nachkriegsjahre und die damals aufkommende Custom- und Hot-Rod-Kultur, der sich die XL 1200 X – so die etwas nüchternere Typenbezeichnung – verpflichtet fühlt. Sie ist auf das Wesentliche reduziert und kommt serienmäßig mit nur einem Sitz daher (den zweiten gibt es optional). Die Reduktion bedeutet aber nicht, dass es an Feinheiten fehlen würde.
Schönheitsbewusstsein beweist die Marke aus Milwaukee nicht nur bei den – wenn auch etwas schmiedeeisern wirkenden – Hebeln für Bremse und Kupplung (jeweils nicht einstellbar). Sie harmonieren optisch perfekt mit den areodynamisch gestalteten Blinkerhaltern im Profil eines Flugzeugflügels sowie den ebenfalls schnörkellos massiven Bremsflüssigkeitsbehältern. Cockpit und Lenkerklemmen bilden eine absolut formschöne Einheit. Dort findet sich stolz „Milwaukee, USA“ eingestanzt. Liebe zum Detail zeichnet auch den Öltank aus. Der verchromte Verschluss wird zum Nachfüllen heruntergedrückt, worauf er ein Stück nach oben schnellt und kann dann mit einer Vierteldrehung inklusive Messstab herausgenommen werden.
Beine und Arme werden beim Platznehmen auf der Forty-Eight gar nicht so weit gestreckt, wie es auf den ersten Blick zu befürchten ist. Auf längeren Strecken stößt lediglich das Sitzfleisch an seine Grenzen. Leichtes Vorrücken bis fast auf den Tank oder nach hinten auf den Rand der Sitzmulde sorgt zwischendurch für Entlastung. Doch Pausen sind ohnehin unumgänglich. Der lediglich 7,9 Liter Liter fassende Tank verlangt nach rund 100 Kilometern bereits die Suche nach einer Zapfsäule. Das ist der Preis für die Remineszens an 1948, dem Jahr in dem die erste Harley-Davidson mit dem so genannten „Peanut“-Tank (=Erdnuss) auf den Mark kam.
49 kW/67 PS aus 1202 Kubikzentimetern Hubraum klingen nicht ganz nach ’48, aber fast. Das reicht angeblich für 180 km/h Spitze, doch die sind für ein solches Motorrad ohnehin nicht von Bedeutung. Die entscheidende Zahl ist die 96. Mit so viel Drehmoment schiebt die Forty-Eight nämlich bei 3.500 Umdrehungen in der Minute vorwärts.
Unterhalb von 2200 Touren stampft, rüttelt und schüttelt sich der immer noch lufgekühlte (!) 1,2-Liter-Motor wie der mächtige Einzylinder eines Lanz-Bulldog. Zwischen 2500 und 3000 Umdrehungen in der Minute zeigt sich der V2 aber plötzlich überraschend geschmeidig. Dann liegen im zweiten Gang 50 bis 60 km/h an, im dritten 70 bis 80 km/h und im vierten 80 bis 95 km/h sowie im letzten Gang 95 bis 110 km/h. Auch zwischen 3500 und 4000 U/min schnurrt die Harley mit ihrem höchsten Drehmoment sanft vor sich hin, wenn im obersten Gang Autobahnrichtgeschwindigkeit erreicht wird. Jenseits von Tempo 140 ist wegen des starken Fahrtwindes ohnehin Schluss mit Fahrfreude. Das Getriebe arbeitet sauber, lediglich für den ersten Gang wünschte man sich hin und wieder eine Anti-Hopping-Kupplung. Und auch ein starker Unterarm kann beim Schalten nicht schaden.
Das üppige 130er-Vorderrad im 16-Zoll-Format macht sich durchaus bemerkbar und erfordert gewisse Einlenkkräfte. Dennoch lässt sich die Sportster erstaunlich flott durch die Kurve bewegen. Die Schleifnippel an den Fußrasten sind da keineswegs Spielerei und werden dem Namen der Baureihe gerecht. Die Vorderradbremse erfreut mit klarem Druckpunkt, und auch hinten verzögert die Forty-Eight kraftvoll mit linearem Druckaufbau und ohne schwammiges Gefühl im Fuß.
Das Cockpit besteht aus einem analogen Tacho mit grober Skalierung und integriertem Display, das immer nur eine Information anzeigt. Per Knopf am linken Lenker kann die gewünschte Wahl von Gesamtkilometerstand bis Drehzahl (nummerischer) getroffen werden. Ungewöhnlich filigran fällt die Hinterradschwinge aus. Sie würde auch bei einer 250er nicht überdimensioniert wirken. Typisch Harley ist das in die Blinker integrierte Rück- und Bremslicht.
Das unterhalb des Lenkers montierte Rückspiegel nach Custom-Art nicht die schlechteste Wahl sind, haben wir auch schon an einigen wenigen anderen Motorrädern festgestellt. Schultern und Unterarme geraten da gar nicht erst störend ins Blickfeld.
Fazit: Sound und die detailverliebte Optik der Forty-Eight begeistern. Auch wer ansonsten nicht unbedingt auf die Maschinen aus Milwaukee abfährt, bekommt mit der Forty-Eight (ohne u) ein überraschend kurvenagiles Motorrad, das durchaus auch längere Etappen schafft – vorausgesetzt, man steuert bei einem Verbrauch von rund fünf Litern rechtzeitig die Zapfsäule an.
jri/amp