IAA 2017 – Wie schaut die Zukunft aus?
IAA 2017 – Wie schaut die Zukunft aus? Die etablierten Hersteller hatten ihr Pulver zum Teil schon vor der IAA verschossen: Im Rennen darum, in der Berichterstattung eine möglichst prominente Platzierung zu erlangen, wurden Bilder und Informationen schon mit einigem Abstand vor der Messe gestreut. Und so hielten sich die Überraschungen auf dem Messegelände in Frankfurt in überschaubaren Grenzen.
Eine der Hauptattraktionen blieb allerdings bis zuletzt unter Verschluss: Das AMG Project One, jenes „Hypercar“, hinter dem vor allem AMG-Chef Tobias Moers, aber auch Designchef Gorden Wagener steht – und das mit Technik aus der Formel 1, die nicht nur extrem schnell, sondern auch sehr sparsam ist. Wo Bugatti beim Chiron auf gewaltigen Hubraum, schiere Leistung und Höchstgeschwindigkeit setzt, positioniert sich der Project One als extrem fortschrittliche Alternative. In Deutschland über 2,7 Millionen Euro teuer, soll es an 275 Kunden weltweit verteilt werden. Hoffentlich wird der Technologietransfer von der Formel 1 ins Supercar-Segment nach unten fortgesetzt.
Auch der Audi Aicon ist eine Überraschung. Bei dieser IAA-Premiere geht es nicht mehr um das Fahren, sondern nur noch um das Gefahrenwerden. Als rein autonomes Fahrzeug kommt er völlig ohne Lenkrad und Pedale aus – und das hat dem Designteam um Marc Lichte viele Freiheiten eröffnet. Farben und Materalien im Interieur sind umweltfreundlich und anspruchsvoll gestaltet, das Exterieur gibt sich wiederum extrem reduziert. Interessanterweise verzichtet Audi hier völlig auf Dekor, die Scheiben sind ohne metallische Akzente bündig eingesetzt. An Stelle der Scheinwerfer treten Beleuchtungselemente, die mit der Umgebung kommunizieren können. Sie sind mit organischen LED dargestellt. Ihnen fehlt die Präzision und Schärfe, die heute im Scheinwerferdesign dominiert.
Dass sich Autos in Zukunft stilistisch wieder etwas zurücknehmen könnten, belegt auch die Studie iVision Dynamics von BMW. Die Form wirkt beinahe generisch, vom „Hofmeister-Knick“ in der C-Säule ist nicht mehr viel übrig, und lediglich die vom i8 inspirierten Rückleuchten sowie die übergroße Niere an der Frontpartie, die hier lediglich Sensoren birgt, nimmt Bezug auf andere BMW-Typen. Das Interieur ist noch unsichtbar. BMW-Chef Harald Krüger spricht davon, dass auch ein BMW mit autonomen Fähigkeiten auf Wunsch ein sportliches Fahrerlebnis bieten soll.
Das Baukastenprinzip wiederum feiert bei Volkswagen und der tschechischen Schwestermarke Skoda fröhliche Urständ. Der VW I.D. Crozz und der Skoda Vision E zeigen auf sehr ähnliche Weise, wie man sich markenspezifische Ableitungen des vollelektrischen MEB-Baukastens vorstellen darf. Die Elektrifizierung mag neue stilistische Freiheiten eröffnen, doch die Skaleneffekte locken eben auch hier.
Konventionelle Ansätze
Eine schöne neue Auto-Welt also, auf die der Besucher heuer vorbereitet wird, doch es gibt auch klassische Ansätze. Etwa den 115 PS starken Up GTI von Volkswagen, der mit seinem Purismus dem sehr nahe kommt, was früher unter Fahrspaß verstanden wurde: Direkter Durchgriff auf die Maschine, Leichtbau, Schnörkellosigkeit im Auftritt. Wer das 2018 kommende Auto schon gefahren ist, dem leuchten die Augen.
Und auch für die angeblich Unbelehrbaren, die ihre großen SUVs lieben, wird einiges geboten. Zum Beispiel bei BMW, wo der X7 einen durchaus glanzvollen Auftritt zelebriert. Er spricht freizeitorientierte Familien an, denen ein X5 mit drei Sitzreihen einfach zu klein ist – und von denen gibt es gerade in den USA viele. Sein stilistischer Auftritt ist von kühler Eleganz geprägt, und unter der eindrucksvollen Fronthaube kann man sich einen Hybridantrieb genauso gut vorstellen wie einen sanft grollenden V8.
Jaguar Land Rover spreizt den Auftritt weit auf: Einerseits kündigen die Briten an, alle Modelle ab 2020 zu „elektrifizieren“ (was allerdings keineswegs ein rein elektrisches Portfeuille meint, denn zur Elektrifizierung genügt ein Mild-Hybrid). Andererseits bringt man vorher noch schnell ein Fahrzeug wie den Discovery SVX auf den Markt, der mit einem per Kompressor aufgeladenen V8-Motor stolze 525 PS leistet.
Beide Seiten der SUV-Medaille kann der neue Porsche Cayenne bedienen, den es einerseits mit drei konventionellen, turboaufgeladenen Ottomotoren gibt, der andererseits auch als Plug-in-Hybrid auf den Markt kommen soll. Fehlt noch der Diesel, den Porsche bei der Weltpremiere im August noch verleugnete. Sollte Porsche auf ihn verzichten, so wird der Wettbewerb sein Glück kaum fassen können.
Chinesischer Angriff
Kein Wunder, dass auch die Chinesen in Europa auf den SUV setzen. Dabei verfolgen die Marken unterschiedliche Strategien. Great Wall kommt nicht mit der Hauptmarke, sondern setzt auf die neue Nobelmarke Wey und stellt zwei sehr überzeugend gestylte SUV namens VV5s und VV7s vor. Auf dem VV7s basiert außerdem der Plug-in-Hybrid P8 mit stolzen 367 PS. Nicht nur das saubere Außendesign, sondern auch die liebevolle Verarbeitung im Interieur belegen den hohen Anspruch von Wey.
Den entgegengesetzten Weg beschreitet Chery: Anstatt die Premium-Marke Qoros einzuführen, an der man zu 50 Prozent beteiligt ist und die in Europa bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad besitzt, will man mit der Massenmarke Chery den Markt erobern. Zu diesem Zweck werden ein kompakter und ein mittelgroßer SUV gezeigt – und ein aggressiv auftretendes Concept Car. Beide SUV-Modelle gibt es indessen als Schwestermodell von Qoros, und zwar mit höherer Material- und Designqualität. Man darf gespannt sein, wie sich Chery in Europa positioniert.
Borgward, ebenfalls unter dem Dach chinesischer Eigner, positioniert sich jedenfalls mit einem Paukenschlag im Premium-Segment: Das Isabella Concept ist eine elegante, eigenständige und historisch orientierte Interpretation der Traditionsmarke. Zugleich ist es der erste Hinweis auf eine neue Formensprache, die unter dem von Mini kommenden Chefdesigner Anders Warming Einzug hält. Zuvor jedoch sollen die in China bereits etablierten Modelle BX5, BX6 und BX7eingeführt werden und zwar mit konventionellen Ottomotoren. Der Vertrieb wird über Sixt Neuwagen organisiert, als Werkstattnetz soll die ATU-Kette dienen.
Die Chinesen greifen also ernsthaft an, und zwar erstmals mit überzeugenden Produkten. Das Spiel wird ihnen erleichtert durch die Krise, in der sich die deutsche Autoindustrie befindet. Ob und wann sich ihre gewaltigen Investitionen in E-Mobilität und autonomes Fahren auszahlen, bleibt nämlich auch nach dieser IAA offen. Und auf eines können sich die deutschen Marken mittlerweile verlassen: Sobald sie beim Kunden ein wenig Vertrauen zurückgewonnen haben, findet sich zuverlässig ein Politiker oder eine Politikerin, die vom Podium herab proklamiert, es sei „Vertrauen zerstört worden“.
jm/amp