Inder kaufen auch Pininfarina
Inder kaufen auch Pininfarina. Berühmten Namen des Autodesigns geht mehr und mehr finanziell die Luft aus. „Der große Ausverkauf traditionsreicher italienischer Autofirmen setzt sich fort“, schrieb kürzlich die Tageszeitung „Die Welt“. Jetzt erwischte es Pininfarina, Schöpfer zahlreicher Stil-Ikonen von Alfa Romeo, Ferrari, Fiat, Jaguar, Lancia, Maserati und Peugeot. Auch BMW, Ford, General Motors und Volvo zählten zu den Kunden der berühmten Denkfabrik aus Cambiano, einem Vorort von Turin. Kurz bevor Pininfarina die Pleite drohte, sicherte sich Anfang Dezember der indische Fahrzeug- und Maschinenkonzern Mahindra für 33 Millionen Euro drei Viertel der Anteile. Eine komplette Übernahme des Unternehmens ist für später geplant.
Es ist ein bisschen so, als würde Karl Lagerfeld in Zukunft nur noch Arbeitsklamotten für Billig-Discounter entwerfen. Denn während das italienische Designstudio Pininfarina fast 80 Jahre lang Sinnbild für Avantgarde und edle Formen beim Entwurf für Automobile war wie der Deutsche immer noch für die Mode, galt der indische Fahrzeughersteller Mahindra mit Sitz in Mumbai, dem früheren Bombay, seit seiner Gründung 1945 stets gut fürs Grobe: Mit 11 000 Beschäftigten stellt das Unternehmen heute in acht Standorten auf dem Subkontinent Traktoren, landwirtschaftliche Maschinen, Geländeautos und für die indische Regierung kugelsichere Fahrzeuge her. Jetzt allerdings ereilte Pininfarina das gleiche Schicksal wie die Kollegen Bertone oder Giugiaro. Unmittelbar vor der drohenden Pleite fanden sich mit den Indern finanzkräftige Investoren, die das Unternehmen vor dem Niedergang retteten.
Mahindra dürfte hier zu Lande bei den meisten Menschen in erster Linie als Teilnehmer der elektrischen Formel-E-Weltmeisterschaft mit Nick Heidfeld und Bruno Senna im Team einen gewissen Bekanntheitsgrad genießen. Außerdem exportieren die Inder seit knapp einem Jahr einen Geländewagen namens Mahindra XUV 500 nach Europa, der von deutschen Interessenten zu einem Kampfpreis von knapp 19 000 Euro für den Fronttriebler und 22 000 Euro für die Allradvariante in Italien bestellt werden kann. Beide Versionen verfügen über einen 2,2 Liter großen 104 kW / 140 PS leistenden Dieselmotor und sind laut Urteil der Fachzeitschrift Auto, Motor und Sport technisch auf der Höhe der Zeit. Daneben gibt es noch als Arbeitspferde den sehr kantigen Mahindra Bolero und den etwas altertümlichen Mahinrda Jeep CJ, der auf dem amerikanischen Willys Jeep CJ von 1947 fußt.
Offensichtlich plant Mahindra zukünftig größeres Engagement auf dem Personenwagen-Sektor. Schon 2011 legte sich das Unternehmen 70 Prozent der Anteile des viertgrößten südkoreanischen Autoherstellers SsangYong zu, dem damals – ebenso wie jetzt Pininfarina – der Gang zum Konkursrichter drohte. Auch die Motorradsparte von Peugeot gehört inzwischen den Indern. Da passen die Designer von Pininfarina, mit denen sie bereits seit Jahren an der Entwicklung von Gelände- und Freizeitautos und einem elektrisch angetriebenen Sportwagen arbeiteten, gut ins Konzept. „Das legendäre Spitzendesign von Pininfarina wird die Gestaltungsfähigkeiten der gesamten Mahindra-Gruppe deutlich verbessern“, ließ sich Konzernchef Chander Prakash Gurnani von der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zitieren.
Damit hat er sich in der Tat ein Design-Juwel gesichert, das es mit einer seiner Arbeiten, dem Sportwagen Cisitalia 202 Coupé von 1951 sogar bis ins New Yorker Museum of Modern Art schaffte. Hervorgegangen war das italienische Traditionsunternehmen aus einer Karosserie-Schmiede, die der Piemonteser Batista Farina 1930 gegründet hatte. Als zehntes von elf Kindern und von kleiner Statur trug er zeitlebens den Spitznamen „der Kleine“, italienisch „pinin“. 1961, fünf Jahre vor seinem Tod, erhielt Batista vom italienischen Staatspräsidenten die Erlaubnis, seinen Nachnamen in „Pininfarina“ wie schon sein Unternehmen hieß, zu ändern. Sein Sohn Sergio Pininfarina baute das Unternehmen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem global Player im Automobildesign aus.
Die Zahl der von ihm und seiner Belegschaft entworfenen Prototypen ist gewaltig und umfasst so ziemlich alle Marken, die in der Welt des Automobilbaus Rang und Namen haben. Darüber hinaus gestalteten sie über 100 Fahrzeuge, die später in Produktion gingen, darunter alleine über 40 Ferrari-Modelle. Die berühmtesten davon sind wohl der Ferrari 410 Superamerica von 1955, der Ferrari Dino 206 von 1965, der Ferrari Testarossa von 1984 oder der Ferrari 360 Modena von 1999. Für Fiat entwarf Pininfarina unter anderem 1961 den Fiat 2300, für Rolls-Royce 1975 den Camargue, für Peugeot 1985 den 405 , für General Motors 1987 den Cadillac Atlanté und für Ford 2003 den Street Ka, um nur einige zu nennen. Dinge, die ein ansehnliches Design vertragen können wie Eisenbahnen, Wintersportgeräte oder Espressomaschinen gehörten zu ihren Arbeiten abseits des Automobils.
Dann wagte sich Pininfarina selbst an den Bau von Sportwagen in kleiner Serie sowie Karosserieteilen und übernahm sich dabei finanziell. Zur gleichen Zeit verabschiedeten sich die meisten Autokonzerne Zug um Zug bei der Gestaltung ihrer Karossen vom Outsourcing und verließen sich lieber auf eigene Designabteilungen. Als schließlich Sergios Sohn und Battistas Enkel, Andrea Pininfarina, inzwischen Firmenchef, 2010 auf einer Vespa tödlich verunglückte, ging es steil bergab. Vier Jahre später starb auch Sergio. Seitdem gab es für Pininfarina kein Halten mehr.
Mahindra ist nun für das Unternehmen mehr als ein Strohhalm, wenn auch jetzt – bitter für die Italiener – Nutzfahrzeuge statt schnittiger Sportwagen im Focus stehen werden. Doch es gibt auch gute Nachrichten für sie: Pininfarina wird ein eigenständiges Unternehmen bleiben. Die Familie Pininfarina behält 1,2 Prozent der Anteile während Mahindra die Schulden von 110 Millionen Euro übernimmt. Und Paolo Pininfarina, Bruder von Sergio und damit ebenfalls Enkel des Firmengründers Battista, wird Präsident bleiben.