Jaguar XJR575 – Sportlicher Edelbrite
Jaguar XJR575 – Sportlicher Edelbrite. Jaguar hat dem Spitzenmodell seiner XJ-Modellreihe 25 PS mehr gegönnt. Ist die Sportlimousine aus Birmingham eine ernsthafte Alternative zu den Konkurrenten aus München, Ingolstadt oder Affalterbach?
Britisches Understatement sieht anders aus: Der Jaguar XJ ist schon eine ziemlich wuchtige Erscheinung. Für den Autohersteller aus Großbritannien bedeutet der XJ in etwa das, was für Mercedes-Benz die S-Klasse ist. Selbst die Dimensionen sind bei einer Länge von 5,13 Meter fast auf den Zentimeter genau identisch. Und so, wie die Schwaben ihre Luxus-Klasse als AMG zu schier unvernünftiger Kraft aufpumpen, macht es auch Jaguar unter dem „R“ als Logo.
Ganz frisch aus dem Produktionswerk in Birmingham rollt nun der neue Jaguar XJR575 auf die Straße. So neu, dass nicht mal für die Testwagenflotte genügend Linkslenker zusammen kamen und einige der blauen Kraftbolzen ihren Weg durch die teils engen Land- und Dorfstraßen rund um das portugiesische Porto mit dem Lenkrad auf der „falschen“ Seite zirkeln mussten. Dass es ohne Kratzer und Schrammen abging, ist auch der erstaunlichen Präzision zu verdanken, mit dem sich das Trumm lenken und beherrschen lässt.
Unter der langen Fronthaube arbeitet ein V8-Direkteinspritzer, der nicht per Turbo, sondern per Kompressor unterstützt wird. Der V8 sorgt nicht nur für einen Sound zwischen wohligem Brabbeln und wütendem Sprotzen, den man in der heutigen Zeit der Zwei- und Dreizylinder schon richtig vermisst. Er liefert auch Kraft und Vortrieb satt. Wie die Zahl im Logo schon andeutet, sind es 575 PS/423 kW, die an die Heckachse geschickt werden – 25 PS mehr als beim Vorgänger. Das maximale Drehmoment von 700 Nm liegt ab 3.500 U/min an.
Breiter Tunnel zwischen den Sitzen
Damit lässt sich schon einiges anfangen. Im normalen Modus wird der XJR575 zum komfortablen Reisegleiter. Das achtstufige Automatikgetriebe von ZF schaltet sanft, frühzeitig und ohne jede Unterbrechung der Zugkraft. Eine kleine Drehung weiter am Automatikknopf zaubert nicht nur ein „S“ für Sport ins Display vor dem Fahrer – sie entfesselt auch das Raubtier in dem ansonsten zwar wohlgenährten, aber eher gutmütigen Kätzchen. Die Automatik schaltet deutlich später und aggressiver, der Motor krakeelt bei jedem Tritt aufs Gas so laut los, dass es eine Freude ist. Beim schnellen Beschleunigen heraus aus Kurven kann man das Heck des XJR575 zum Tänzeln bringen, bevor es die Elektronik dann doch wieder einfängt. 300 km/h Spitzengeschwindigkeit sind laut Jaguar möglich – und man mag es gerne glauben. Den Spurt aus dem Stand auf Tempo 100 legt die leer fast 1,9 Tonnen schwere Limousine in gerade mal 4,4 Sekunden hin. Das ist genauso schnell wie ein Mercedes S 63 AMG V8 oder ein Porsche 911 Carrera S.
Wem die Sinnfrage solcher Sportautos im Kleid von Luxuslimousinen egal ist, der hat auch kein Problem mit dem Verbrauch. 11,1 Liter gibt Jaguar als Durchschnitt für 100 Kilometer an – wer damit hinkommt, der kann sich ein solches Auto eh sparen und ist mit der Selbstzünderversion des Jaguar XJ besser bedient. Die hat auch noch 300 PS und begnügt sich mit zumindest offiziellen 5,7 Liter Diesel auf 100 Kilometer. Aber wer einen XJR575 leistet, der dürfte auch mit den Unterhaltskosten kein Problem haben, die der ADAC inklusive Wertverlust auf knapp 2.500 Euro je Monat taxiert.
Was hat der Jaguar XJR575 noch zu bieten außer schierer Kraft? Optik zum Beispiel. Wer mit ihm unterwegs ist, der kann sich der Aufmerksamkeit der Passanten und anderen Verkehrsteilnehmer gewiss sein. Die Front ist gelungen, die Seiten auch – über das Heck lässt sich streiten. Nennen wir es mal „gewöhnungsbedürftig“. Immerhin kann man bis zu 520 Liter Gepäck darin verstauen – üblich in dieser Fahrzeugklasse. Streiten lässt sich auch über den Innenraum. Nicht über Materialien die inzwischen gute Verarbeitung oder die Liebe zum Detail. Wohl aber über den breiten und hohen Mitteltunnel. Der nimmt mächtig viel Platz in der Breite weg und vor allem für die Frontpassagiere ist der XJR575 nicht so geräumig, wie er auf den ersten Blick von außen wirkt. Hinten dagegen geht es durchaus geräumig zu.
Wer keine Lust hat auf die deutschstämmigen Luxuslimousinen der Marke 08/15, aber gleichzeitig auf die Kraft nicht verzichten mag, die ihm dort die AMG-, M- oder S-Versionen liefern, der findet bei Jaguar mit dem XJR575 eine echte Alternative – auch preislich.
jw/ap