Ohrfeige für Lamborghini – Designer Gandini fühlt sich verraten

Er ist, so Markenchef Stephan Winkelmann, eine „Hommage an das Erbe“ der Marke: Der im August vorgestellte Lamborghini Countach LPI 800-4. Auf Basis des Sián FKP 37 – einer Ableitung des Aventador – verfügt er über einen 819 PS (602 kW) starken Mildhybrid-Antrieb mit 6,5-Liter-V12-Motor. Seine Form lässt trotz der ausladenden Dimensionen keinen Zweifel daran, dass der legendäre Countach Pate stand. Das gefällt nicht jedem, und erst recht nicht Marcello Gandini, der einst den Ur-Countach LP 400 gestaltet hat. Das von 1974 bis 1990 gebaute legendäre Modell war lange Zeit der schnellste Sportwagen der Welt.

Designer Marcello Gandini am Lamborghini Countach.

In der im August verteilten Pressemitteilung schwärmt Chefdesigner Mitja Borkert: „Ein so bedeutendes Auto in eine neue Ära zu führen, ist ein einzigartiges Privileg.“ Das Modell habe seinerzeit „die Menschen zum Lächeln und zum Starren“ gebracht“, allerdings hebe seine Replika „diese Klarheit auf ein neues Niveau“. Die exklusive limitierte Auflage nehme einen „Platz in der Automobilgeschichte ein“. Und sicher auch in der Bilanz der Sportwagenmarke: Dem Vernehmen nach werden pro Einheit mindestens zwei Millionen Euro aufgerufen. 112 Stück sollen gebaut werden. Ähnlich also wie das Projekt  Sian FKP 37

Reputation oder Melkkuh?

Eitel Sonnenschein also bei Kunden und Herstellern; der Applaus aus der Designer-Szene bleibt indessen verhalten. Bereits Ende August merkte Stardesigner Frank Stephenson in einem Video an, er habe den Eindruck, dass Lamborghini die „großartige Reputation des originalen Countach“ als „Melkkuh“ missbrauche. Ein anderer Top-Designer spricht von einer „finanziell interessanten, PR-lastigen Hot-Rod-Replika“. Und jetzt schaltet sich auch noch der Schöpfer des ursprünglichen Countach, Marcello Gandini, mit einer geradezu brutalen Invektive ein.

Unter der sperrigen Überschrift „Marcello Gandini distanziert sich vom kommerziellen Projekt des Lamborghini LPI 800-4 (,New Countach‘)“ deklariert der Grandseigneur des automobilen Futurismus: „Ausgehend von der Kommunikation von Lamborghini und den Medien in den letzten Wochen könnte die Öffentlichkeit in der Annahme fehlgeleitet werden, dass Marcello Gandini Teil des Projektes war, mit ihm verbunden sein könnte oder dass es seinen Segen habe.“ Dem ist nicht so.

Wie konnte es dazu kommen?

In einem von Lamborghini publizierten Video sind Gandini und der Lamborghini-Chefdesigner bei einem Interview zu sehen, das Gandini dem Deutschen im Frühjahr 2021 gewährt hat. Dabei habe ihm Borkert ein Modell des neuen Countach als „persönlichen Tribut“ und Vorschau auf eine Pebble-Beach-Studie präsentiert. Zu keinem Zeitpunkt sei von einer Kleinserie die Rede gewesen. Der 83-jährige Stardesigner lässt ausrichten, dass er, als Mitja Borkert ihm das Modell überreicht hat, gelächelt und es zur Kenntnis genommen habe – „wie es die Form gebietet“. Erst hinterher sei ihm klar geworden, dass das Interview keineswegs Selbstzweck gewesen sei. Denn auf einmal kündigte der Hersteller eine Serienfertigung an. Und damit will Gandini nichts zu tun haben.

Jetzt stellt der Italiener klar: „Ich habe meine Identität als Designer, ganz besonders betreffend die Supercars von Lamborghini, auf einem einzigartigen Ansatz aufgebaut: Jedes neue Modell eine Innovation, ein Durchbruch, etwas ganz anderes als der Vorgänger.“ Was seine Arbeit stets ausgemacht habe, seien „Mut und die Fähigkeit, einen Bruch zu vollziehen trotz eines erfolgreichen Vorgängermodells“. Und „das Selbstbewusstsein, nicht in Angewohnheiten zu verfallen“. In dem neuen Modell sieht Gandini diese Prinzipien nicht verwirklicht – im Gegenteil: Die Wiederholung eines Modells der Vergangenheit ist für ihn die „Negation der Kernprinzipien meiner DNA“.

Für Lamborghini sind die Einlassungen Gandinis zwar mehr als unangenehm. Doch sie werden keine Auswirkungen auf den Markterfolg des Projekts haben. Die 112 geplanten Einheiten sind längst verkauft. Mehr dazu auf www.lamborghini.com.