Mercedes-Maybach S-Klasse
Die kurze Tour auf der Rücksitzbank gehört zum Pflichtprogramm des Motorjournalisten, auch wenn er sich nur höchst ungern vom Lenkrad vertreiben lässt. Doch bei einem Mercedes-Maybach spielt die Musik hinten. Da verzichtet man schon einmal gern länger auf die Freude, im 600er zwölf Zylinder zum Säuseln bringen zu können. Kommodes Reisen in exklusiver Umgebung ist Pflicht in dieser Klasse, und wie könnte man das besser prüfen mit der Frage, wie steht es mit den Arbeitsmöglichkeiten und – nicht weniger wichtig – wie schläft sich`s in ihm?
Unsere Bekanntschaft mit dem neuen Flaggschiff der S-Klasse mit dem Maybach-Versprechen begann deswegen standesgemäß auf dem Rücksitz, zunächst mit ausführlichem Sattsehen am Innenraum, der viel mehr Raum bietet als die um 20 Zentimeter gewachsene Außenlänge vermuten lässt. Große Türen hinten, großes Glasdach, Leder, Holz, Chrom, sorgfältige Verarbeitung, Bildschirm, Kopfhörer, Fernbedienung, Kopfstützen wie ein Kopfkissen, bessere Sprachverständlichkeit zwischen vorn und hinten und so weiter – eine Umgebung, die auch auf die Mailänder Möbelmesse passt.
Vielfach einstellbare Ledersitze, in alle Richtungen variabel bis hin zum belüfteten oder beheizten Liegesitz in einem maximalen Winkel von 43,5 Grad, selbstverständlich mit Massagefunktion. Als die Hot-Stone-Massage uns den Rücken durchwalkt und sich die Augen sattgesehen haben, fallen sie zu. Kein Wunder bei den Fahrwerkqualitäten dank der Magic Body Control mit Road Surface Control, die Hindernisse erkennt und die Federung darauf vorbreitet. So wird der Mensch auf dem Rücksitz in großer Stille in den Schlaf gewiegt, mit seiner Lieblingsmusik im Ohr.
In meiner langen Laufbahn als Autoschreiber ist dies der erste Test, der sich – im Wortsinne – im Schlaf erledigt. Doch auch nach dem schönsten Nickerchen ruft die Pflicht. Jetzt geht es um die Eignung zum rollenden Büro. Dabei wundern wir uns nicht über die beiden ausfahrenden Klapptische. Tische sind sicher Pflicht in dieser Fahrzeugklasse. Ebenso wenig ist die Tatsache erstaunlich, dass der Maybach ein rollender Hotspot ist und alles bietet, was das Internet bereithält. Aber die Summe der Elemente, die man über die Fernbedienung nutzen und Steuern kann, qualifiziert den Maybach auch zum Büro. Wir arbeiteten erst einmal in aller Ruhe unsere E-Mails von daheim ab.
Als größte Herausforderung bei der Entwicklung des Maybach nennt der Produktverantwortliche, Dr. Hermann-Joseph Storp, die Bekämpfung der Schwingungen im Auto. Mit einem besonderen Trick hat seine Mannschaft sogar das Reifengeräusch in den Griff bekommen: Innen im Reifen unterdrückt ein Ring aus Schaumstoff die störenden Schwingungen. Jetzt kann Storp einen Minusrekord bei den Innengeräuschen hinten für sein Team reklamieren.
Innen bestimmen also Exklusivität und Stil, Hightech und Handwerkskunst vom Feinsten das Bild. Außen aber ist der Maybach eine – man ist versucht zu sagen –ganz gewöhnliche S-Klasse. Nur an einigen Statussymbolen wie dem Maybach-Zeichen und den speziellen Felgen gibt er sich zu erkennen. Weil die Proportionen stimmen, fallen auch die 20 Extra-Zentimeter nur im direkten Vergleich mit einer langen S-Klasse auf. Produktstratege Johannes Reifenrat hat dafür den passenden Spruch parat: „Der Maybach trägt den Nerz nach innen.“ Sichtbar aus dem Rahmen fallen sollen doch die anderen.
Mercedes macht also Druck in einem Markt, der überschaubar ist. Die Stuttgarter zielen auf die mehr als 200 000 Superreichen in dieser Welt, die vor allem in den USA, in Asien und in Russland leben und die Perfektion mehr suchen als den extrovertierten oder schrillen Auftritt.
Der erste Versuch mit einem Maybach kann wohl kaum als Erfolg gewertet werden. Sogar Spott mussten sich die Stuttgarter angesichts von nur insgesamt 3500 gebauten Exemplaren gefallen lassen. Doch bei dieser Fahrzeugklasse geht es nicht um die Meinung von Kritikern. Es geht um die Kern-Zielgruppe, und die hat die Marke Maybach gelernt.
Nun hoffen die Stuttgarter, den Namen mit ihren drei Familien in der Ober- und Exklusivklasse geschickter eingesetzt zu haben. Sie flankieren die S-Klasse auf der sportlichen Seite mit Mercedes-AMG und auf der exklusiven Seite mit Mercedes-Maybach und sie schwören bei Carl Benz, nie werde ein AMG-Motor in einem Maybach stecken, jedenfalls nicht mit den akustischen Auffälligkeiten nach AMG-Art.
Bei Mercedes-Benz spricht man ja nicht über Planzahlen für einzelne Modelle. Auf die Frage, ob man so viel absetzen wolle wie der Wettbewerber Rolls-Royce, der 2014 mehr als 3000 Verkäufe meldete, hat Hermann-Josef Storp nur ein spöttisches Lächeln. Mehr als 10 000 Maybachs im Laufe des Produktzyklus – dafür legt er seine Hand in Feuer. Die Zahl scheint weit unter seinen Erwartungen zu liegen.
In Deutschland geht der Maybach im Februar an den Start. Zurzeit läuft die Fertigung bereits auf dem S-Klassen-Band in Sindelfingen. Noch in der erste Jahreshälfte wird eine Staatskarosse folgen, die an die Tradition des alten Mercedes 600 anschließt: der Mercedes-Maybach Pulman. Im Herbst folgt der Maybach S 500 mit Allradantrieb und zur IAA wird uns Mercedes-Benz ein S-Klasse-Cabrio präsentieren.
Bleibt nur noch eine Frage offen? Wie fährt sich der Maybach, wenn man dem Chauffeur mal nach hinten verbannt hat? Die Antwort fällt eindeutig aus: Wie eine S-Klasse. Davon kann sich der Chef gern selbst überzeugen. Angesichts der vielen Komfort- und Sicherheitssysteme und der Fähigkeit, sich teilautonom über die Autobahn zu bewegen, wird er sicher Spaß am Selberfahren finden und seinem Fahrer hinten öfter ein paar süße Träume gönnen. (ampnet/Sm)
Daten Mercedes-Maybach S 600
Länge x Breite x Höhe (in m): 5,45 x 1,90 x 1,50
Radstand (m): 3,37
Motor: V12-Benziner, 5980 ccm, Biturbo, Direkteinspritzung
Leistung: 390 kW / 530 PS von 4900 – 5300 U/min
Max. Drehmoment: 830 Nm bei 1900 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 5,0 Sek.
ECE-Durchschnittsverbrauch: 11,7 Liter
CO2-Emissionen: 274 g/km / Effizienzklasse F
Gesamtgewicht: 2815 kg
Reifen: vorn 245/45 R19 / hinten 275/40 R 19