Mercedes S-Klasse Cabrio: Traumschiff mit Sonnendeck
45 Jahre – diese Zeitspanne rangiert in der Automobilbranche knapp an der der Ewigkeit. 1971, vor einem knappen halben Jahrhundert also, bot Mercedes-Benz zuletzt einen offenen Viersitzer der S-Klasse an – und nimmt erst jetzt die Tradition wieder auf. Warum das Feld des Luxus-Open-Airlers bei der Stern-Marke dermaßen lange unbeackert blieb, wissen die Stuttgarter wahrscheinlich selber nicht mehr so genau. An der Erfolglosigkeit der 50er- bis 70er-Jahre-Vorgänger jedenfalls kann es nicht gelegen haben. Baureihen wie der 300 S von 1951, der 220 S von 1956 oder der 300 SE von 1961 sind heute Ikonen. Ein gut erhaltener 280 SE 3.5 aus dem letzten S-Klasse-Cabrio-Produktionsjahr 1971 kostet heute doppelt so viel wie der 2016er-Nachfolger. Ein Bild drängt sich vor dem geistigen Auge auf: das der Verantwortlichen, die ein wenig staunend, ein wenig ehrfurchtsvoll vor dem wunderschönen (jedes andere Wort wäre eine Untertreibung) S-Klasse Cabrio des Jahrgangs 2016 stehen und sich fragen: Warum eigentlich haben wir dieses Auto nicht schon längst auf den Markt gebracht?
Die Anhänger einer viersitzigen Freiluft-S-Klasse mussten sich lange gedulden, bevor das automobile Traumschiff wieder mit einem Sonnendeck ausgestattet wurde. Ein Trost für die jahrzehntelange Warterei: Die Open-Air-Neuerscheinung ist alles andere als mit heißer Nadel gestrickt – und dadurch ein Auto, nach dem man sich auf der Straße umdreht, das Geschichte schreiben und zur Ikone werden wird.
Fast geht in dem Hype um das erste viersitzige S-Klasse-Cabrio seit 45 Jahren unter, dass durch dessen Premiere die Produktfamilie auf Rekordgröße anwächst. Die Kunden haben jetzt die Auswahl zwischen sechs Modellvarianten, wenn sie sich ein S-Klasse-Fahrzeug zulegen wollen: Limousine mit normalem und langem Radstand, Coupé und Cabrio, Mercedes-Maybach und Mercedes-Maybach Pullman.
Sich über die exzellente Verarbeitungsqualität, das fantastische Design oder das einzigartige Fahrerlebnis mit dem S-Klasse-Cabrio auszulassen, hieße eigentlich, Eulen nach Athen zu tragen. Nirgendwo wird der aktuelle Mercedes-Slogan „Das Beste oder nichts“ kompromissloser umgesetzt als in der S-Klasse, die synonymhaft steht für das Nonplusultra um Luxusautobau. Das Cabrio macht da, natürlich, keine Ausnahme. Während die Optik für sich spricht, ist das, was die Ingenieure unter die Motorhaube gepackt haben, und das, was daraus auf der Straße resultiert, naturgemäß auf den ersten Blick nicht ganz so aufdrängend. „Das Beste oder nichts“ galt offensichtlich bereits bei der Festlegung der Motorisierung. Wer kein Cabrio mit V8-Motor (4.663 ccm Hubraum), 455 PS und 700 Newtonmetern Drehmoment haben will, wird bei dem S-Klasse-Open-Air nicht glücklich. Die Neuerscheinung mit Ikonen-Potenzial gibt es zunächst nur mit dieser einen Triebwerkvariante. Wobei: eine Alternative gibt es schon, aber das AMG S 63 4Matic Cabriolet mit 585 PS und 900 Nm Drehmoment, geschöpft aus einem 5.461 ccm großen V8-Motor, ist dann noch einmal teurer. Die Botschaft der Stuttgarter ist eindeutig: Take it or leave it.
Die Anzeichen deuten darauf hin, dass die potenzielle Kundschaft sich für das „Take it“ entscheidet – zumal die Fahrt mit dem offenen Kraftpaket keine Wünsche offen lässt. In 4.6 Sekunden beschleunigt das 2.1 Tonnen schwere S-Klasse-Cabrio aus dem Stand auf 100 km/h – und würde die Elektronik nicht bei 250 km/h elektronisch abregeln, wäre wahrscheinlich eine Höchstgeschwindigkeit nahe 300 km/h möglich. Ist das nicht ein Widerspruch zur Cabrio-Philosophie, der zu Folge das gemütliche Dahingleiten und nicht das auf Rekordzeiten zielende extrem dynamische Kurvenfressen im Mittelpunkt des Fahrerlebnisses steht?
Die Frage ist zwar berechtigt, die Antwort fällt aber einfach aus: Die Sterne-Neuerscheinung ist für beide Einsatzgebiete geeignet. Wer Interesse an der entspannten Open-Air-Fahrt durch eine Frühlingslandschaft interessiert ist, wird sich wohl keine luxuriösere Umsetzung als im S-Klasse-Cabriolet vorstellen können – vom Airscarf, der warme Luft in den Nacken bläst, über die Sitzkühlung bis zum – was für ein Wort – dem „Zugfreihaltungskomfort“ dienenden zusätzlichen Windschutzsystem Aircap haben die Mercedes-Tüftler nichts unversucht gelassen, um jede Fahrt mit dem S-Klasse-Cabrio zu einer besonderen zu machen. Das mehrlagige Verdeck öffnet und schließt dabei auch während der Fahrt bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h. Wegen eines plötzlichen Regenschauers rechts ranfahren, um das Verdeck zu schließen? Das war einmal.
Für die ambitionierteren Cabriofahrer steht nicht nur Kraft und Leistung im Überfluss bereit, auch an technischen Finessen, die den 2.1-Tonner in jeder Situation nicht nur beherrschbar, sondern kinderleicht bedienbar machen sollen, fehlt es nicht. Sowohl volltragendes Luftfederungssystem Airmatic als auch adaptives Dämpfungssystem und elektromechanische Direktlenkung sind serienmäßig. Ansonsten ist – selbstverständlich – an aktiven und passiven Sicherheitssystemen so vieles grundsätzlich oder optional mit an Bord, dass eine Aufzählung der Einzelkomponenten von neun Airbags, die, keine Selbstverständlichkeit bei einem Cabrio, auch den Kopfbereich der vorne Sitzenden schützen, bis zum Nachtlicht-Assistenten einen eigenen Text füllen würde. nf/amp