Neuer WLTP-Zyklus – Klarheit nur auf den ersten Blick

Neuer WLTP-Zyklus – Klarheit nur auf den ersten Blick. Geht es um die Verbräuche des eigenen Autos, geht das Heulen und Stöhnen los. Die zumeist mächtigen Abweichungen zwischen Herstellerangaben und Realität dürften ab sofort geringer werden, denn ein neuer Testzyklus soll mehr Klarheit bringen. Doch das gilt nur auf den ersten Blick.

Wer kennt es nicht? Der Autohersteller gibt in seinen Fahrzeugunterlagen einen Verbrauch von 6,5 Litern Super auf 100 Kilometern an und proklamiert die Sparsamkeit des neuen Vehikels. In der Realität sind es dann 8,7 oder gar 9,2 Liter, die sich das neue Spielzeug genehmigt und der Ärger steigt. Wer in seiner Familie oder dem Bekanntenkreis herumfragt, bekommt von jedem eine ähnliche Antwort. Das Papier auf dem die Verbräuche gepriesen werden, scheint dem Sprichwort nach geduldiger denn je, denn die Abweichungen liegen oftmals zwischen 20 und 30 Prozent – selbstverständlich nur nach oben, was für den Autofahrer mit größeren Ausgaben verbunden ist. Öfter tanken heißt ein nennenswert tieferer Griff in den eigenen Geldbeutel – das schmerzt; insbesondere, wenn man sich von den Werbebotschaften und in Aussicht gestellten Fabelverbräuchen hat einlullen lassen.

Der neue Testzyklus mit der wenig informativen Bezeichnung WLTP soll die Verbrauchsangaben realistischer und damit direkt gesagt höher werden lassen. Umweltorganisationen oder der Verband der Automobilhersteller (VDA) gehen von einem Plus von immerhin 20 Prozent aus. Das bedeutet auch, dass ab dem 1. September 2018, wenn der im Herbst 2017 eingeführte neue Messzyklus WLTP obligatorisch bei uns gilt, die KFZ-Steuern für nahezu jedermann steigen werden. Aufgrund der geänderten Anforderungen haben die Fahrzeuge zwar nicht in der Realität, aber der Aktenlage nach einen höheren Verbrauch. Das bedeutet, dass der Aufschlag in den CO2-Werten ohne jegliche Umrechnungsformel in die zukünftigen Steuerberechnungen eingeht. Finanz- und Umweltministerium wollen sich Veränderungen in der Realität erst einmal anschauen und dann schauen, ob man tätig wird und die Steuern ggf. reduziert. Sehr wahrscheinlich klingt das allerdings nicht.

Das gute an der neuen Testzyklus WLTP (World Harmonized Light Vehicle Test Procedure): die mitunter allzu üppigen Abweichungen sollen spätestens ab diesem Herbst etwas kleiner werden. Zumindest, wenn es nach dem Willen der umtriebigen UN bzw. Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) sowie der Europäischen Union geht. Bisher wurde der Verbrauch, der Datenblättern, Werbeprospekten und Fahrzeugdaten zugrunde gelegt wird, seit 1992 nach dem so genannten NEFZ / NEDC (Neuer Europäischer Fahrzyklus / New European Drive Cycle) berechnet. Was viele nicht wissen: der NEFZ dient keinesfalls dazu, den realen Verbrauch des Fahrzeugs im Alltag abzubilden. Vielmehr geht es darum, die Fahrzeuge besser miteinander vergleichen zu können. So wird der Normverbrauch nicht im turbulenten Straßenverkehr, sondern einem seelenlosen Rollenprüfstand abgespult – unter alles andere als realistischen Laborbedingungen. Der Grund liegt auf der Hand: die Fahrbedingungen sollen nachvollziehbar und insbesondere unbegrenzt reproduzierbar sein – und das nicht nur innerhalb eines Landes, sondern innerhalb ganz Europas und der ganzen automobilen Welt.

20 Prozent mehr Verbrauch auf dem Papier?

Jetzt produzieren die meisten Hersteller ihre Fahrzeuge jedweder Größe, Klasse oder Bauart nicht nur für ein Land oder eine Region, sondern bieten den vermeintlichen Traumwagen bisweilen auf der ganzen Welt an. Doch die Verbräuche miteinander zu vergleichen, ist ein Ding der Unmöglichkeit, denn die Testzyklen sind in Japan, Korea, den USA, Brasilien, Russland oder Deutschland überaus unterschiedlich. Die Idee einer Harmonisierung war lange überfällig und vor rund einem Jahrzehnt überaus gut gemeint. Doch der so genannten WLTP (World Harmonized Light Vehicle Test Procedure) geht bereits vor ihrer flächendeckenden Einführung die Luft aus. Es gibt zahllose Sonderregelungen und Ausnahmen, sodass von einer weltweit vergleichbaren Regelung trotz bester Ansichten kaum noch eine Rede sein kann, denn die WLTP gilt in der EU, Großbritannien, Norwegen, Island, Schweiz, Lichtenstein, Türkei und Israel. Erste Abweichungen gibt es in Ländern wie Japan oder Südkorea. Russland, Australien und eine Reihe von Staaten im Mittleren Osten, Asien sowie in Südamerika bleiben beim NEFZ; die Vereinigten Staaten, Brasilien und verschiedene andere Länder haben andere Zyklen. China als Autonation Nummer eins verwendet für die neueste Emissionsstufe den WLTP nur als Testverfahren. Für die Verbrauchsermittlung wird dort heute unverändert der NEFZ verwendet und für die Zukunft ist ein eigenes Messverfahren geplant. Selbst in Europa gibt es Abweichungen, weil die normale Umgebungstemperatur von 23 Grad Celsius hier vielen zu hoch war. So gibt es eine eigene Messung bei 14 Grad. Der Aufwand, ein Auto auf den neuen Testzyklus einzustellen ist gigantisch. Denkt man an das gesamte Modellportfolio eines Herstellers, das bis 31. August 2018 neu zertifiziert werden muss, ist einem klar, weshalb in ganz Europa derzeit kaum Rollenprüfstände zu bekommen sind und Nachtschichten geschoben werden müssen.

Dabei besteht zunächst einmal kein Zweifel daran, dass die WLTP im Vergleich zum über 25 Jahre alten NEFZ realitätsnäher am alltäglichen Kundenbetrieb ist. Der neue Zyklus dauert mit 30 Minuten immerhin 50 Prozent länger als bislang und die Standzeit reduziert sich von knapp 24 auf 13 Prozent. Im Gegenzug verlängert sich die gefahrene Strecke von 11 auf 23 Kilometer und das Maximaltempo erhöht sich von 120 auf 131 km/h, um Autobahnfahrten besser abbilden zu können, was sich auch in einer höheren Durchschnittsgeschwindigkeit (46 statt bisher 34 km/h) bemerkbar macht. Ergänzend dazu sind die Prüfvorgaben strenger als bisher und es wird nicht wie bisher nur die Basisvariante des jeweiligen Modells getestet, da Sonderausstattungen Einfluss auf die Messwerte haben. Jedoch konnten sich die Organisationen zum Beispiel nicht darauf einigen, wie eine eingeschaltete Klimaanlage Einfluss in die Messung nehmen soll. So bleibt einer der größten Verbraucher neben Sitz-, Lenkrad- und Scheibenheizungen bis auf weiteres bei den Messungen außen vor.

RDE – Real Driving Emissions

Zu der neuen WLTP, die unverändert auf einem Rollenprüfstand gefahren wird, gehört auch ein Realtest auf der Straße (RDE – Real Driving Emissions), der dafür sorgen soll, dass die Grenzwerte für Stickoxide und Partikelanzahl eingehalten werden. Das erhöht detr Aufwand noch einmal um ein Vielfaches. Bei den RDE-Messungen wird mit sogenannten PEMS-Geräten (Portable Emission Measurement System, dt.: Tragbares Emissions-Messungs-System) gemessen. Einige Schadstoffe, wie zum Beispiel Stickoxide (NOx), können nur unter diesen realistischen Fahrbedingungen ermittelt werden. So weit, so gut. Aber es regt sich Kritik. Für den Verkehrsclub Deutschland (VCD) ist es nur schwer nachvollziehbar, dass Neufahrzeugen zunächst ein NOx-Bonus mit dem Faktor 2,1 gewährt wird, der 2020 auf 1,5 gesenkt wird und ab 2021 komplett wegfällt. Zur Verdeutlichung: Bei den aktuellen Bestimmungen wären bei einem Rollenprüfstand-Ergebnis von 80 mg NOx/km dann 168 mg NOx/km erlaubt. Das ist für den VCD nicht genug, der bemängelt, „dass Autos aufgrund der Straßenmessungen einen höheren Grenzwert genehmigt bekommen, als zuvor beim Test im Labor.“

Kleinigkeiten haben bei der neuen WLTP-Messung mitunter große Auswirkungen. Die Schaltpunkte sind nicht mehr fest vorgeschrieben, sondern können fahrzeugspezifisch oder nach dem Gusto des Piloten gewählt werden. So darf in Zukunft deutlich früher als bisher in höhere Gänge geschaltet werden. Das hilft sportlich abgestimmten Handschaltgetrieben mit besonders hohen Übersetzungsverhältnissen in den unteren Gängen. Auf lange Sicht wird dieser Punkt aber immer weiter in den Hintergrund treten, da sich automatisierte Getriebe (Getriebeautomatik / Doppelkupplungsgetriebe) weltweit immer mehr durchsetzen. Eine deutliche Änderung ergibt sich durch die WLTP für Plug-In-Hybriden. Diese können erstmals extern elektrisch aufgeladen werden. Diese Fahrzeuge fahren den Test mehrmals und gestartet wird mit vollem Akku. Jedoch wird der Testzyklus so oft wiederholt, bis die Batterie leer ist. Anschließend erfolgt noch eine Messung mit leerer Batterie, bei der die Antriebsenergie ausschließlich vom Verbrennungsmotor und der Bremsenergierückgewinnung stammt. Aus diesen beiden Messungen wird der auszuweisende CO2-Mittelwert berechnet.

Der VCD fordert außerdem, dass die Kontrolle über diese Tests weg vom Kraftfahrzeug Bundesamt (KBA) hin zum Umweltbundesamt beziehungsweise dem Umwelt-Bundesministerium gegeben werden. Die Umsetzung dürfte nicht zu aufwendig sein. Der CO2-Grenzwert von 95 g/km, der 2020/21 erreicht werden soll basiert noch auf dem NEFZ. Viele Hersteller fragen sich jetzt, welche Fahrzeuggattung von den neuen Tests profitieren werden, und welche Effekte beziehungsweise Technologien sich positiv auf das Ergebnis auswirken. Momentan laufen bei allen Herstellern weltweit die Prüfstände heiß, um neue Werte zu ermitteln. Die ICCT (The International Council on Clean Transportation) hat bereits Berechnungen angestellt, wie sich der Wechsel zu dem neuen Zyklus auswirken könnte: Demnach vermutet das Institut, dass der CO2-Grenzwert von 95 g/km (NEFZ) 100 beziehungsweise 102 g/km beim WLTP-Zyklus entspricht, abhängig von der Temperatur bei der der Motor gestartet wird. Das wären im Gegensatz zu den Erwartungen von VDA und anderen Verbänden immerhin nur knapp zehn Prozent.

sg/ap