Nissan Leaf – Bangemachen gilt nicht mehr
Wie beweist man angesichts der ständigen Nörgelei über die geringen Reichweiten von batterieelektrischen Autos die eigene Stärke? Man wählt eine Strecke, die in den Ohren von Auto-Interessierten einen besonderen Klang hat, so wie der Cole de Turini als eine der schwersten Prüfungen der Rallye Moto Carlo, auf der einst Walther Röhrl das Publikum begeisterte. Mit seiner um 26 Prozent größeren Batteriekapazität sollte sich jetzt der Nissan Leaf an dem 1607 Meter hohen Pass in den Seealpen beweisen.
Den in jüngster Zeit so oft zitierten europäischen Standard NEFZ gibt es auch für Elektroautos, Nach dieser Norm erreicht der Nissan Leaf mit seiner nun 30 Kilowattstunden-Batterie 250 Kilometer und sticht in diesem Rollprüfstand-Vergleich den Wettbewerb klar aus. Doch Theorie und Praxis klaffen auch beim Elektro-NEFZ weit auseinander. Deswegen gehört Mut dazu, eine Horde kurvensüchtiger Motorjournalisten eine mehr als 70 Kilometer lange Etappe von der Mittelmeerküste hoch auf den Cole zu schicken. Vorsorglich hatte Nissan sie mit einem Ökonomie-Wettbewerb bremsen wollen. Wer oben am meisten Energie in der Batterie hatte, sollte belohnt werden. Aber viele der Akteure wollten nun erst recht wissen, was geht.
Oben auf der Kuppe hatten wir nach einem weder schnellen noch langsamen Anstieg knapp 30 Prozent im „Tank“. Als wir der Navigation das nächste Etappenziel eingaben, meldete sich eine freundliche Frauenstimme mit dem Hinweis: „Sie werden das Ziel voraussichtlich nicht erreichen.“ Doch Bangemachen gilt nicht! Schließlich weiß doch jeder, das „Runter kommen sie immer“ bei Fahrern von Elektroautos einen guten Klang hat, denn beim Bergabfahren braucht man weniger bis keine Energie. Im B (wie Brems)-Modus ließen wir uns vom Leaf helfen, die Geschwindigkeit zu reduzieren und von Motor-Generator die kinetische Energie aus dem Gefälle in elektrische Energie für die Batterie umzuformen.
Alte Diesel-Freunde wie ich zitieren heute noch gern den Spruch aus der Zeit vor der Entwicklung des Turbo-Diesels: „Lieber den Hals riskieren als den Schwung verlieren!“ Man muss ja nicht gleich das Leben aufs Spiel setzen. Aber die Grundidee passt heute wieder auf das Batterieauto. Da heißt es dann: Vorausschauend fahren, bloß nicht unnötig bremsen! Denn jedes Beschleunigen kostet mehr Energie als das Bremsen über die Rekuperation zurückholen kann.
Wir fuhren vom Cole de Turini noch rund 90 Kilometer und kamen mit 30 Prozent gefüllter Batterie an. Wir glauben also, was uns die Anzeige beim Start prophezeit hatte: Reichweite 210 km. Selbst die Nissan-Bordelektronik sah es offenbar realistischer als der NEFZ-Test. Dennoch bleibt als Aussage: Ein Viertel mehr Reichweite ist drin.
Die Reichweite wird allerdings nicht von Berg- und Talfahrten allein beeinflusst. Wir hatten einen perfekten Elektro-Mobilitäts-Tag mit 20 Grad Außentemperatur und fast blauem Himmel. Das Tagfahrlicht war ausreichend. Wir mussten nicht belüften, kühlen oder heizen. Auch das beheizbare Lenkrad blieb ausgeschaltet. Nur das Infotainment- und das Nissan-Connect-EV-System lief, mit dem man Batteriedaten abrufen, die Heizung fernsteuern und Kontakt zur Außenwelt halten kann, blieben aktiv. Das alles kostet bei Betrieb Reichweite. Doch gilt auch in der Winternacht: Die Reichweite des neuen Leaf mit der 30 kWh-Batterie liegt um rund ein Viertel höher. Außerdem hat der Fahrer – wie bei jedem Antrieb – es selbst im Fuß, wie weit er kommt.
Der Leaf bietet ihm dabei ein angenehmes Umfeld. Bei ihm handelt es sich um einen als Fünfsitzer zugelassenen Personenwagen des C-Segments für vier ausgewachsene Personen – von Askese kein Spur. Mehr am Material als an Design und Verarbeitung lässt sich erkennen, dass die Japaner bei der Konstruktion auf Gewicht geachtet haben. Die Batterie wiegt gut 290 Kilogramm, der Leaf ohne Batterie keine 1250 kg. Den Passagieren fehlt nichts. Die Sitze sind ausreichend bequem, der Kofferraum mit 370 Litern auf dem Niveau seiner Klasse. Das Fahrwerk passt ebenfalls zum Kompaktsegment-Anspruch. Das Lenkrad sollte in dieser Klasse aber auch in Längsrichtung verstellbar sein, und die Lenkung dürfte ein bisschen größere Rückstellkräfte anbieten.
Beim Außendesign hat Nissan darauf verzichtet, den Leaf mit einer komplett neuen Designsprache von den Fahrzeugen mit konventionellen Antrieben abzusondern. Der Leaf zeigt Elemente, die sich besonders im kleinen Crossover Juke wiederfinden: großzügig abgesetzte Radhäuser, massiges Heck mit Diffusor am Heck und aufgesetze, große Glupschaugen fürs Licht.
Damit ordnet sich auch der Modelljahrgang 2016 ein in das breite Angebot an Kompaktautos, nur eben mit Elektroantrieb. Doch die Nähe zu den klassischen Kompakten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die 30 kWh in einer unverändert großen Batterie noch nicht das Ende der Entwicklung darstellt. Es wird weitergehen. Bis es soweit ist, setzt nun erst einmal Nissan den Meilenstein, ohne damit gleich eine neue Epoche einzuleiten. Immer noch ist das batterieelektrische Auto ein Fall für das urbane Umfeld. Zu einer Fahrt mit einem Leaf durch Deutschland weiß Thomas Hausch, Geschäftsführer Nissan Center Europe, seinen ganz eigenen Kommentar: „Das ist immer noch etwas für einen echten Mann.“ Dagegen ist die Tagesetappe zum Cole de Turini ein überschaubares Abenteuer. Wir musste nicht die Tour entlang der vorhandenen Ladestationen planen, vor einer Station mit dem Stecker in der Hand Schlange stehen und anschließend nach Möglichkeiten suchen, die 30 Minuten Zeit fürs Schnell-Laden sinnvoll zu gestalten.
Daten Nissan Leaf 30 kWh Visia
Länge x Breite x Höhe (in m): 4,45 x 1,77 (mit Spiegeln 1,97) x 1,55
Radstand (in m): 2,70
Motor: Wechselstrom-Synchronmotor (EM57)
Leistung: 80 kW / 109 PS von 3008-10 000 U/min
Max. Drehmoment: 255 Nm von 0-3008 U/min
Batterie: Lithiumionen-Batterie (System Mangan/Kobaltoxid): 30 kWh, 360 V, 24 Module, 196 Zellen
Höchstgeschwindigkeit: 144 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 11,5 Sek.
CO2-Emissionen vor Ort: 0
Leergewicht / Zuladung: min. 1535 kg / max. 395 kg
Kofferraumvolumen: 370 – 911 Liter
Wendekreis: 10,8 m
Räder / Reifen: 6,5 x 17 / 215/50 R 17
Luftwiderstandsbeiwert: 0,28
Preis: Bei Batteriemiete € 22.661,– bei Batteriekauf € 28.560,–
Batteriemiete: Beispiel 36 Monate € 122, – im Monat