Porsche 911 Carrera

Den neuen Porsche 911 Carrera habe man bewusst vorsichtig geändert, hörten wir jetzt bei einer ersten Bekanntschaft mit Technik und Auto auf dem Hockenheimring. Das stimmt, auf den ersten Blick gibt sich der Neue sehr zurückhaltend. Wer will, kann ihn an den dickeren Reifen auf der Hinterachse und an der neuen Auspuffanlage erkennen. Aber unter dem Blech findet jetzt mehr an Revolution statt als die römische II hinter der Typenbezeichnung 991 II Carrera vermuten lässt. Schließlich bricht Porsche mit einer Tradition: Turbo statt Sauger.  

Die 911er-Gemeinde diskutiert die Entscheidung für den Turbo heftig. Da kreisen schon Vermutungen durchs Internet, nun werde man sich an Laderschäden gewöhnen müssen, als ob Porsche keine Erfahrung mit Turbomotoren hätte. Auch Turbolöcher tauchen auf einmal auf, und dem Motor wird unterstellt, beim Gasherausnehmen schiebe er weiter. Schon bei unserer ersten Tour – leider nur auf dem Beifahrersitz – zeigte sich, wie sehr sich die Carrera-Traditionalisten irren: Die Gasannahme folgt dem Gaspedal so spontan wie der Schub auch dann endet, wenn es gewollt ist. Der Drei-Liter-Sechszylinder bestätigt die Vorurteile also nicht. Dafür bietet er in der S-Variante von 1.700 Umdrehungen pro Minute bis hoch zu 5.000 U/min das volle Drehmomentplateau von 500 Newtonmetern. Den Effekt belegten die Porsche-Techniker am Hockenheimring mit einem Vergleich zum bisherigen Carrera: Nach fünf Sekunden hat der Neue zehn Prozent mehr Weg zurückgelegt als sein Vorgänger.

Der Sechs-Zylinder-Boxer im Carrera leistet mit 370 PS und schaffte im selben Drehzahlbereich maximal 450 Nm, beide 60 Nm mehr als der 3.8 Liter des Vorgängers. Der Carrera S leistet 420 PS. Beide Spitzenleistungen liegen bei 6.500 U/min an. Der Drehzahlbereich endet aber erst bei turbountypisch hohen 7.500 U/min. Zu einem modernen Motor gehört auch ein geringerer Verbrauch. Der Carrera verlangt im Schnitt (nach NEFZ) mit dem Sieben-Gang-Doppelkupplungsbetriebe PDK mit 7.4 Liter nun 0.8 Liter weniger als bisher, bei S-Modell liegt der Durchschnittsverbrauch bei 7.7 Litern und damit einen Liter niedriger.

Die Traditionalisten werden den beiden neuen Carreras – wenn sie ihn erst einmal selbst erlebt haben – attestieren, dass der Sprung von Sauger auf Turbo sein Gutes hat, zumal der Neue nichts an akustischer Präsenz vermissen lässt. Er klingt wie ein Porsche und fährt sich offenbar besser als sein Vorgänger. Wer leichten Mehrverbrauch und etwas schlechtere Beschleunigungswerte akzeptieren will, für den bietet Porsche auch ein Sieben-Gang-Handschaltungsgetriebe, bei dem der Kraftbedarf für die Betätigung der Kupplung herabgesetzt wurde. Für die Nordschleifen-Runde verspricht Porsche jedenfalls eine gegenüber dem Vorgänger für den Carrera S mit allen verbesserten Eigenschaften und PDK eine um acht Sekunden bessere Zeit.

Handschalter- und Automatik-Fraktion werden die neuen Lenkräder zu schätzen wissen. Sie stammen aus dem Porsche 918 Spyder und bieten neben dem Pralltopf und Hupe in der Lenkradmitte ein Drehrad, mit dem man Fahrmodi einstellen kann, ohne die Hand vom Lenkrad zu nehmen. In der Mitte des Drehrads lockt ein Knopf, so eine Art Nachbrenner einzuschalten. Dann wird der Carrera auf den Spurt vorbereitet mit dem passenden Gang, mehr Ladedruck und höherer Drehzahl. Angesichts solcher neuen Ideen wird deutlich, dass die römische Zwei nur als Understatement aus Zuffenhausen verstanden werden kann. Was unter dem Blech geschieht, ist mehr als das sonst zur Mitte des Produktlebenszyklus übliche Facelift.

Porsche ist stolz darauf, eine noch größere Spreizung der Qualitäten auf dem Boulevard und auf der Rennstrecke geschafft zu haben. Das neu abgestimmte Fahrwerk legt den Porsche um zehn Millimeter, beim Sportfahrwerk um 20 Millimeter tiefer. Neue Dämpfer unterstützen das System der Spreizung. Außerdem wuchs die Breite der Felgen an der Hinterachse von elf auf 11,5 Zoll. Und ein aktives Hydrauliksystem schaltet das Wanken in Kurven aus. Als Option bieten die Zuffenhausener zum ersten Mal auch eine aktive Hinterradlenkung, die bei niedrigen Geschwindigkeiten das Handling erleichtert – Wendekreis 10,5 Meter statt 11,3 Meter – und bei hohen Geschwindigkeiten die Stabilität in Kurven und beim Geradeauslauf.

Das neu entwickelte Porsche-Communications-Management-System (PCM) bringt den Carrera auch bei der Konnektivität nach vorn: Sieben-Zoll-Touchscreen, Sprachbedienung, Integration von Smartphone, induktives Aufladen des Mobilphones, Echtzeit-Verkehrsinformation, W-LAN, die Möglichkeit des Schreibens mit dem Finger als Eingabe und das alles intuitiv bedienbar, wenn man sich die Zeit nimmt, um die Fähigkeiten kennenzulernen, entweder in der Startaufstellung oder im Stau. Dieser Porsche hat trotz der tiefer gelegten Karosserie weniger Probleme als andere mit Kantsteinen oder Einfahrten in die Tiefgarage. Als Option hebt eine Hydraulik an den vorderen Federbeinen mit leisem Summen die Frontlippe um 40 Millimeter an. Auch damit wird der neue Carrera vor den geschwindigkeitsbremsenden Buckeln auf Europas Straßen eine bessere Figur machen als viele seiner Wettbewerber.

Sm/amp

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