Prototypenerprobung – Die neue A-Klasse in der Kühlkammer
Prototypenerprobung – Die neue A-Klasse in der Kühlkammer. Die Kompaktklasse soll ab kommendem Jahr ein neues Aushängeschild bekommen – wenn es nach Mercedes geht. Die A-Klasse soll VW Golf, Audi A3 und BMW 1er die Rücklichter zeigen. Wir waren bei den finalen Erprobungen in Lappland dabei.
Vor 20 Jahren wurde die erste A-Klasse von einem ebenso unbekannten wie harmlosen Elchtest zu Fall gebracht. Das brachte ihr europaweite Bekanntheit und uns die flächendeckende Einführung des Schleuderverhinderers ESP. Doch an die erste A-Klasse-Generation denkt heute niemand mehr. Billige Innenräume und das hochbeinige Vanstyling sind glücklicherweise verschwunden. Ab dem Frühjahr steht die vierte Auflage der Mercedes A-Klasse in den Startlöchern, die ein völlig neues Niveau in das umkämpfteste Fahrzeugsegment Europas bringen soll. Die Mercedes A-Klasse wurde dafür nicht nur komplett neu entwickelt, sondern führt eine völlig neue Motorengeneration von Dieseln und Benzinern ein. Dreizylinder bleiben außen vor, doch der Einstiegsbenziner hat gerade noch 1,3 Liter Hubraum.
Das neue Einstiegsmodell in die Sternenwelt, zwölf Zentimeter länger und ein gutes Stück breiter als bisher, behält Design und Proportionen des Ahnen, will im Innenraum (drei Zentimeter mehr Radstand) jedoch durch seine großen Displays und zahlreiche Komfortausstattungen Maßstäbe in der Kompaktklasse setzen. Dazu gibt es mehr Platz im Fond, einen leichteren Einstieg dorthin und ein deutlich besseres Niveau bei Geräusch- und Fahrwerkskomfort. Der Einstieg in die Mercedes-Welt wird erstmals mit zwei Hinterachsen angeboten. Die Basismodelle bekommen eine technisch weniger aufwendige Verbundlenkerachse; Topmodelle, die Allradversionen und die Fahrzeuge mit variabler Verstelldämpfung behalten die Mehrlenkerachse, die Entwicklungsleiter Jochen Eck an einem der Prototypen gerade noch in Augenschein nahm. „Man kann schon sagen, dass wir dafür sorgen, dass die neue Mercedes A-Klasse hinterher auch so fährt wie ein Mercedes“, sagt Baureihenleiter Jochen Eck, „speziell dafür sind wir im Bereich der Gesamtentwicklung zuständig. Jetzt geht es um die wichtigen Detailarbeiten.“
In der gleißend hell erleuchteten Werkstatthalle in der Nähe von Bredsel nahe des schwedischen Polarkreises stehen zwei wild beklebte Prototypen und zwei Modelle in dunkelrot – nur noch leicht getarnt mit schwarzen Klebeelementen. Die Probanden sind klar als A-Klassen zu entlarven, doch Details über das Design sollen bis zur Weltpremiere Anfang Februar noch geheim bleiben. Daher bedecken Tarnfolien die bekannten Charaktermerkmale in Front, Heck und den Flanken. Ein letzter Check steht an, bevor das Entwicklungsteam wieder heraus auf die verschneiten Teststrecken geht. Von den zehn Modellen sind die Hälfte bereits wieder auf dem Rückweg nach Sindelfingen. Die Testingenieure benötigen dafür zwar vier Tage, doch das Kilometerschrubben sorgt für Millionen von Daten und wichtige Erkenntnisse. Die zweite Hälfte der A-Klasse muss heute auf dem streng gesicherten Testgelände und auf den Landstraßen drumherum zeigen, wie weit die Modelle vor einer Produktionsfreigabe wirklich sind.
Finale Phase
Jochen Eck fährt zusammen mit seinem Kollegen Volker Seitz wieder raus auf das Testgelände. Zwei Sicherheitstore später geht es nach rechts auf eine abgesperrte Strecke, die schneebedeckt entlang nicht enden wollender skandinavischen Wälder führt. Der grauhaarige Entwicklungsingenieur beschleunigt die A-Klasse spürbar über die eisige Kuppe, taucht danach leicht ein und kommt mit einem leichten Gegenlenken wieder zur Ruhe. Er nickt zufrieden: „Auf dieser Strecke können wir die Fahrt auf einer normalen Straße nachstellen. Es geht um vieles wie Geräusche, aber auch die Lichtverteilung im Dunkeln und natürlich das Fahrwerk.“ Die Zeiten, in denen die Mercedes A-Klasse wie ein harter Bock über die Straßen fuhr, sind vorbei. Bereits die Modellpflege brachte mit den langen überfälligen Verstelldämpfern ein Komfortplus. Doch an Bord der Testfahrten zeigt sich: der große Sprung nach vorn kommt im Frühjahr, wenn die aktuelle A-Klasse von der Generation vier abgelöst wird.
Das Testprogramm soll alle nur erdenklichen Fehler der Prototypen aufzeigen. Die Autos werden auf den Testgeländen genauso hart rangenommen wie bei den nächtlichen Überlandfahrten. Die kühlen Temperaturen und der trockene Schnee am Polarkreis sind dabei jedoch nur die eine Seite der Medaille. „Wir waren mit den Modellen auch in Spanien, Deutschland und der Hitze Arizonas unterwegs“, blickt Entwicklungsingenieurin Bettina Eichel zurück, „ich bin jetzt schon zweieinhalb Wochen hier. So lange – da ist die Dunkelheit schon anstrengend. Es ist schließlich tagsüber kaum hell.“ Das Entwicklungsprogramm für die zehn Prototypen in nordschwedischen Winter ist besonders hart. Bei Temperaturen bis knapp minus 30 Grad Celsius werden die getarnten Prototypen rund um die Uhr rangenommen. Es geht bei den Abstimmungen schlicht im alles. Motor, Getriebe, Geräuschentwicklung, Klimaautomatik oder Bordelektronik – die Entwicklung des neuen Golf-Konkurrenten ist nach über drei Jahren weit fortgeschritten. „Wir hatten hier in den vergangenen zwei Wochen rund 100 Ingenieure aus den verschiedensten Bereichen, die die A-Klasse getestet haben“, berichtet Jochen Eck. Geräusche, Fehler, Ungereimtheiten werden peinlich genau niedergeschrieben und ins Entwicklungszentrum nach Sindelfingen gefunkt. Je schneller die Fehler ausgemerzt werden, umso besser.
Vier neue Motoren
In dem Prototypen von Jochen Eck, einem stark getarnten Zweiliter-Allradmodell mit blass klingendem Vierzylinder stimmt etwas mit dem Motor nicht. „Daran arbeiten wir bereits“, sagt der Entwicklungschef mit stoischer Ruhe als der strahlende Multifunktionsbildschirm seinen Dienst quittiert, „die anderen Prototypen der Produktionsgruppe zwei sind da mit einem neuen Softwarestand schon weiter. Hier tut sich gerade nichts.“ Doch knarzende Panoramadächer, eine polternde Hinterachse oder ein sich überraschend ins Wochenende verabschiedender Navigationsbildschirm bringt Jochen Eck ebenso wenig in Wallung wie Bettina Eichel oder Volker Seitz, der im zweiten Prototypen unterwegs ist. „Wenn wir hier oben sind, muss sich das ganze natürlich auch lohnen“, erklärt Bettina Eichel, „wir arbeiten fünf Tage jeweils zehn Stunden und am sechsten Tag acht.“
„Alle Motoren sind neu“, erklärt Jochen Eck, „wir haben zwei Benziner mit 1,3 und 2,0 Litern sowie zwei Diesel mit 1,5 und 2,0 Litern. Ich kann nicht für jede Schraube meine Hand ins Feuer legen, doch die A-Klasse ist komplett neu entwickelt. Wir haben keine Übernahmeteile.“ Zum Start im Frühjahr wird das neue Einsteigermodell zunächst nur mit Doppelkupplungsgetriebe zu bekommen sein. Volker Seitz steuert den Zweiliter-Fronttriebler, dessen Leistung bei rund 190 PS liegen dürfte auf dem gesicherten Gelände in das nächste Versuchsareal. „Das ist belgisches Pflaster. Hier geht es um die Geräuschentwicklung und was wie stark in den Wagen durchschlägt.“ Es rumpelt und poltert – doch nur von Reifen und Fahrwerk.
Die Karosserie und der Innenraum zeigen sich deutlich besser als bei der Allradversion. „Das ist ganz einfach zu erklären“, sagt Jochen Eck, „der Allradler kommt deutlich später. Hier haben wir mit der Entwicklung noch etwas Zeit.“ Es geht zurück in die Werkstatthalle. Die neuesten Daten werden von den Festplatten ausgelesen, verwertet und dann via Datentransfer nach Sindelfingen ins Entwicklungszentrum geschickt. Bestenfalls kommen die neuen Softwarestände dann heute noch zurück und es kann weitergehen.
sg/ap