Range Rover Velar D300 – Über allem ein Hauch Windsor
Range Rover Velar D300 – Über allem ein Hauch Windsor. Wer große Autos baut, schafft darunter Lücken für weitere Modelle. Als Beispiel für die gar nicht so steile These kann Land Rover mit seinem großen Luxusmodell Range Rover dienen. Seit der Range Rover Evoque den Markt der kompakten SUV mit mutigem Design erfolgreich verblüffte, ist der Spielraum für Land Rover klar: zwischen dem klassischen großen Range Rover und dem Evoque haben die Briten noch Platz für weitere Modelle geschaffen. Jüngstes Beispiel ist der Range Rover Velar, der seit dem Sommer dieses Jahres erst einmal in die große Lücke zielt.
Der klassische Range Rover bietet Ihren Lordschaften auch unterwegs genau das Maß an unverbrüchlicher Ruhe und Gelassenheit, das sich vom herrschaftlichen Anwesen auf ein Automobil übertragen lässt. Unaufdringlich, schnörkellos und selbstverständlich vom Feinsten. Etwas flacher der Range Rover Sport – immer noch hoch genug, dass der junge Lord Muskeln zeigen kann, ohne sich bei den Maßen zu sehr einschränken zu müssen. Und am unteren Ende der junge Wilde – der Range Rover Evoque, dessen extrovertierte und moderne Linienführung wohl niemand den Engländern zugetraut hätte. Der Familienzuwachs lieferte den Beweis, dass nicht jeder Range Rover groß sein muss, sondern auch in der Mittelschicht dicke Erfolge einfahren kann.
Nun schiebt Land Rover ein weiteres Mobil seiner Nobelmarke in die Lücke zwischen Evoque (4,37 Meter Länge) und Sport (knapp fünf Meter): den Range Rover Velar mit 4,80 Metern Länge. Mit ihm sucht das britische Traditionsunternehmen auch in der Nische nicht nur die jeweilige rechnerische Mitte bei Außenmaßen und Gewichten oder bei den Preisen. Es geht auch um Werte und Erwartungen. Schaut man sich die Einstiegspreise seiner Nachbarn an, scheint der nur leicht oberhalb der Mitte zu liegen. Der Velar mit dem Zwei-Liter-Diesel leistet 132 kW/180 PS. Doch schon die ersten Kilometer mit dem D300 und 221 kW 300 PS aus den drei Litern Hubraum des Sechszylinder-Diesels lehren uns, dass erst da der Spaß beim Velar so richtig beginnt. Mit seinen 700 Newtonmetern maximalem Drehmoment bei bescheidenen 1.500 und 1.750 Umdrehungen pro Minute (U/min) und dem Achtgang-Automaten nötigt er uns in vielen Punkten Respekt ab.
Dieser Antrieb lässt einen die zwei Tonnen Leergewicht glatt vergessen. Mehr noch als die Werte für die Fahrleistungen – null auf 100 km/h in 6,5 Sekunden und mehr als 240 km/h Höchstgeschwindigkeit – spricht die Agilität, die der Fahrer auf Strecke erlebt, für die gute Arbeit der Entwickler. Dass der Velar das alles akustisch sehr zurückhaltend erledigt, steigert den Respekt. Erst bei Volllast meldet sich der Sechszylinder. Vom Beifahrer nimmt man vorher schon gern die Frage entgegen, ob das denn wirklich ein Dieselmotor sei.
Die meisten Beifahrer zeigen sich auch vom Leben im Innenraum beeindruckt. Platz bietet der Velar reichlich, und das Ganze möbliert im typischen Stil des Hauses in sauberem, unaufgeregtem Design, wertvollen Materialien und einer vorbildlichen handwerklichen Verarbeitung mit dem typischen Hauch von Windsor-Lederduft über allem. Doch neben dem klassischen Ambiente fühlen sich die meisten Mitfahrer auch von einem interessanten Widerspruch angezogen: Die Mittelkonsole wird geprägt vom großen Bildschirm mit den wichtigen Einstellungen und darunter einem zweiten Touchscreen, der die volle Breite füllt. Wenn der Mensch auf dem Beifahrersitz Freude an neuer Technik und an ungewöhnlichen Verfahren des Zugriffs auf Infotainment und andere Einstellung hat, kann er hier das System kennenlernen, das wir zukünftig auch in neuen Range-Rover-Modellen erleben werden.
Ähnlich prägenden Einfluss auf kommende Generationen lassen sich wohl auch anderen Elementen des Velar zuschreiben. So wird die schon beim Evoque mutig geformte Heckpartie von der des Velar noch einmal übertroffen. Ein derart erotisches Heck sah man sonst nur bei englischen Sportwagen. Auch die schmalen Matrix-LED-Scheinwerfer werden wir noch öfter sehen, wahrscheinlich auch die massiven Türgriffe, die elektrisch ausfahren, wenn das Keyless-go-System das zulässt. Die gänzlich vom Griff befreite Tür soll ein paar Hundertstel beim Luftwiderstandsbeiwert bringen und erinnert in ihrer uneleganten Massigkeit an die alte Rolle englischer Autos als individualistische Sonderlinge. Den Effekt kultivieren Jaguar und Land Rover in ihrer neuen Ära unter indischen Besitzern ja ab und an, so unter anderem mit dem ausfahrenden Drehknopf für das Automatikgetriebe und beim Velar zusätzlich mit der Bedienlogik über Touchscreens. Das muss man einfach lieben.
Als Range Rover ist der Velar natürlich auch dazu verpflichtet, im Gelände ein vorbildliches Verhalten an den Tag zu legen. Unser Exemplar in der Ausstattungsstufe SE war mit den neuesten Systemen dafür ausgerüstet (Terrain Response 2 Automatik, All Terrain Progress Control, Low Traction Launch, Hill Decent Control und der Bremskraft-Entriegelungssteuerung Gradient Release Control). Wie die meisten mitteleuropäischen Range-Rover-Besitzer haben wir darauf verzichtet, die Systeme in der wilden Natur zu fordern. Für uns galt bei den Allrad-Fähigkeiten ähnliches wie beim Antrieb: Gut zu wissen, was einem so alles zur Verfügung steht. Das ist Teil der Souveränität, die der Velar-Fahrer beim komfortablen schnellen Reisen in einem stilvollen Ambiente mit Musik aus den 17 Lautsprechern des Meridian-Surround-Klangsystems erlebt. So kann er sich genüsslich mit der Frage befassen, warum die sonst so perfekte Luftfederung hart an kleinen Kanten scheitert.
Über den Verbrauch muss der Fahrer sich nicht beschweren. Der wird mit 6,5 Litern auf 100 km (im Schnitt nach NEFZ) angegeben, was den mehr als zwei Tonnen, dem Luftwiderstandsbeiwert von 0,35 und der großen Stirnfläche geschuldet ist. Unser Praxisverbrauch entlarvt uns als jemanden, der gern schneller fährt als er hinterher zugeben mag. Der Range Rover Velar und sein Sechszylinder-Diesel sprechen für die aktuellen Qualitäten einer traditionsreichen Marke und den so ungerecht und ungerechtfertigt geschmähten Dieselmotor.
sm/amp