Renault Kadjar
Sie sollen Alleskönner sein: Familienkutsche und Freizeitmobil, abseits befestigter Wege souverän vorwärts kommen und als Kombi eine ordentliche Ladekapazität haben. Crossover- und SUV-Modelle bescheren den Herstellern seit Jahren zuverlässige Wachstumsraten. Bei Renault hat das zuletzt nur mäßig geklappt. Obwohl die Deutschen Samsung als Smartphone-Marke durchaus schätzen, trauen sie der Firma ein hochwertiges Automobil offenbar nicht so recht zu. Innerhalb von acht Jahren wurden nur 13 600 Einheiten des von Samsung produzierten und in Deutschland als Renault Koleos verkauften Fünftürers abgesetzt. Nach dem glücklosen Koleos startet Renault nun einen neuen Versuch im kompakten SUV-Segment.
Die Kaleos-Zahlen zu übertreffen dürfte dem Modell Kadjar (gesprochen „Katschah“) nicht schwer fallen. Die Kernsubstanz des Wagens ist zu etwa 60 Prozent identisch mit dem Nissan Qashqai, der mittlerweile zu den bestverkauften Fahrzeugen seines Segments gehört. Allein hierzulande zählte das Kraftfahrtbundesamt im Jahr 2014 mehr als 24 500 Neuzulassungen. Die frankophilen unter den Crossover-Kunden könnten in der Zukunft einiges von diesem Ergebnis wegknabbern, wobei sich Renault aber auf keine offizielle Prognose über die Absatzchancen des Kadjar einlassen mag. Das von Laurens van den Acker verantwortete Kadjar-Design fügt sich bündig in die Optik der kürzlich erschienenen Modelle Captur und Espace ein. Blickfang im Zentrum der Frontpartie ist die Renault-Rhombe, Chromspangen dehnen sich nach außen zu den flachen und schräg angesetzten Scheinwerfergläsern. Außer dem LED-Tagfahrlicht flammen hinter den Gläsern als Option auch noch Hauptscheinwerfer in Leuchtdioden-Technik auf. Tief sitzende Nebelscheinwerfer und ein angedeuteter Unterfahrschutz vervollständigen die robuste Erscheinung.
Bei einer Gesamtlänge von 4,45 Metern kommt das Auto auf einen Radstand von 2,65 Metern, was die Voraussetzung für komfortable Platzverhältnisse auf der Rückbank ist. Die Inneneinrichtung wirkt hochwertig, das Gestühl ist auf Anhieb bequem und bietet vorn stabil ausgeformte Seitenpolster, die guten Halt geben. Die asymmetrische Architektur des Cockpits wird von dem schräg angebauten Haltegriff akzentuiert, der auf der Beifahrerseite die Mittelkonsole begrenzt. Die Karosserie ist nur 1,40 Meter hoch, so dass das Fahrzeug mit seiner Bodenfreiheit von 200 Millimetern kaum über 1,60 Meter Gesamthöhe hinaus ragt. Dennoch herrscht auf allen Plätzen ausreichend Kopffreiheit. Die praktischen Qualitäten sind unter anderem an einem großen Kofferraum abzulesen. 472 Liter Volumen erlauben es fünf Passagieren, eine Menge Habseligkeiten einzuladen. Legt man die Rücksitze um, entsteht eine ebene Ladefläche, auf der bis unters Dach fast 1,5 Kubikmeter Volumen nutzbar sind. Mittels beweglicher Einlegeböden kann der Raum so aufgeteilt werden, dass Einzelteile in scharfen Kurven nicht herumfliegen und sicher fixiert sind. Nur die mit 78 Zentimetern recht hohe Ladekante kann bei schweren Lasten zu einem Problem werden. Das maximale Zuladungsgewicht ist bei 506 Kilogramm erreicht. Eine verlängerte Version mit sieben Sitzen nach Qashqai-Vorbild ist derzeit nicht in Planung.
Zur Markeinführung am 12. Juni wird der Kadjar in drei Motorversionen angeboten, wovon eine mit einem elektronisch geregelten Allradantrieb kombinierbar ist. Wer eine Frontantriebs-Version bestellt, kann auf die Ausstattungslinie „XMOD“ ausweichen, die über eine so genannte „Extended Grip“-Option verfügt. Es handelt sich dabei um eine erweiterte Traktionskontrolle, die auch auf schwierigem Untergrund ein Durchdrehen der Räder verhindern soll. Mit einem Drehschalter an der Mittelkonsole kann der Fahrer die Traktionskontrolle an die Erfordernisse des Fahrens auf Sand oder Schnee einstellen. Einen Drehschalter finden auch die Insassen der Allradvariante in der Konsole. Mit seiner Hilfe kann der elektronisch geregelte Allradantrieb still gelegt und zum Beispiel auf trockener Straße im Frontantriebs-Modus gefahren werden. Die Stellung „Auto“ bewirkt, dass im Bedarfsfall die Hinterachse binnen Sekundenbruchteilen zugeschaltet und bis zu einem Anteil von 50 Prozent mit Drehmoment versorgt wird. Die „Lock“-Stellung fixiert einen konstanten Allradantrieb mit 50:50-Kraftverteilung auf beiden Achsen. Insoweit ist die Bedienbarkeit mit dem identisch, was auch Nissan anbietet.
Bei Renault geht man davon aus, dass etwa ein Viertel der Kunden sich für den Allradantrieb entscheiden werden, was sie automatisch zu Benutzern des 130-PS-Dieselmotors macht. Dieser Motor erwies sich im Fahrtext als munter und zugkräftig. Mit immerhin 320 Newtonmetern Drehmoment bringt das 1,6-Liter-Aggregat das knapp mehr als 1600 Kilogramm schwere Fahrzeug in Bewegung, schnurrt dabei unauffällig und kultiviert durch die Kulisse der sechsgängigen Handschaltung. Die gute Geräuschdämmung macht sich dabei ebenso bemerkbar wie das anstrengungsfreie Handling. Die etwas zu leichtgängige Lenkung ist ausreichend präzise, um diesen Kadjar auch in höherem Tempo zielgenau über holperige Schotterpisten zu manövrieren. Rätsel gaben unterwegs weder die übersichtliche Instrumentierung noch das geschmeidig schaltende Getriebe auf. Das Fahrzeug meisterte auch anspruchsvolle Steppen-Passagen bravourös, quittierte diese Leistung aber mit erhöhtem Durst: 7,1 Liter je 100 Kilometer anstelle des EU-Wertes von 4,9 wies der Bordcomputer am Ende aus. Ebenfalls über 96 kW/130 PS Leistung verfügt der 1,2 Liter große Vierzylinder-Benzinmotor. Da er jedoch sein Zugkraft-Maximum von 205 Newtonmetern erst jenseits von 2.000 Touren entwickelt, wurde er im Praxisbetrieb als nicht annähernd so temperamentvoll empfunden wie das selbstzündende Schwestermodell. In langsamen Passagen und engen Kurven, beim Abbiegen oder an langen Steigungen sollte man deshalb ruhig einen Gangwechsel mehr einkalkulieren, da es sonst an Beschleunigungsvermögen fehlen kann. Für die 81 kW/110-PS-Dieselvariante bietet Renault alternativ noch ein Doppelkupplungs-Automatikgetriebe an, das jedoch nicht für einen Fahrtest zur Verfügung stand. Zwar gilt Design als wichtigstes Entscheidungs-Kriterium für SUV-Kunden, doch darauf will man sich bei Renault nicht allein verlassen. Ebenso wie die meisten Wettbewerber fährt der Hersteller auch für den Kadjar ein breites Spektrum an Sicherheits- und Assistenz-Systemen auf, die zwar als Einzel-Extras geordert werden können, aber sämtlich in der 33 490 Euro teuren Top-Version verwirklicht sind. Dazu zählen Einpark-Hilfe vorn und hinten, Notbremsassistent, Verkehrszeichenerkennung, Spurhaltewarner, Navigationssystem und Fernlicht-Assistent.
afb/amp