Retro Classics
Bei Superlativen sind Veranstalter von Messen schnell bei der Hand. Mit dem Titel „Größte Oldtimershow Europas“ schmückt sich beispielsweise die Retro Classics, die noch bis zum 29. März ihr Tore in der Messe Stuttgart, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Flughafen der schwäbischen Landesmetropole geöffnet hat. Das Superlativ verdient sich die Schau nicht zu unrecht. Auf 120.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche präsentieren 1.428 Aussteller ein breites Spektrum an Exponaten vor 85.000 erwarteten Besuchern. Höhepunkte sind Sonderschauen wie „30 Jahre BMW M5“, die „Erlebniswelt Design“ oder eine eigene Verkaufsbörse für US-Oldtimer auf mehr als 2.500 Quadratmetern.
Die Oldtimer-Branche boomt
Mehr wird altes Blech fürs anspruchsvolle Hobby entdeckt. 2014 schmückten sich rund 345.000 Oldtimer mit einem „H-Kennzeichen“. Es setzt voraus, dass das Fahrzeug mindestens 30 Jahre alt ist. Gegenüber 2013 stieg diese Zahl um 9,9 Prozent. Damit entwickelt sich diese Fahrzeuggattung zum bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Statistisch gibt jeder Halter eines solchen Autos alleine für Wartung und Reparaturen rund 1.500 Euro pro Jahr aus. 2013 setzte die Branche insgesamt rund sechs Milliarden Euro um. Die Zielgruppe ist zu mindestens 70 Prozent männlich, über 50 Jahre alt und verfügt zu mehr als 50 Prozent über ein Haushaltseinkommen von mehr als 2.500 Euro netto.
Der Boom spiegelt sich auch in der Entwicklung der Retro Classics wieder. 2001 als lokale Schau mit 96 Ausstellern und knapp 15.000 Besuchern gestartet, ging es seitdem nur steil nach oben. Schub erhielt die Veranstaltung nicht zuletzt durch die Eröffnung der neuen Messe auf den Fildern, südlich von Stuttgart. Als eine der wenigen Veranstaltungen gelingt es den Machern der Retro Classics das Messezentrum auf seiner gesamten Fläche mit attraktivem Leben zu füllen.
In diesem Jahr bietet die Schau einen repräsentativen Querschnitt aller bekannten Restaurateure aus dem deutschsprachigen Raum und dem benachbarten Ausland. Zahllose Fahrzeuge stehen zum Kauf. Der Boom der Oldtimer spiegelt sich in zahlreichen Preisvorstellungen wieder, die sich vorsichtig ausgedrückt, das Attribut „mutig“ verdienen. Da ruft ein Händler für einen sicherlich fein restaurierten Fiat 500 aus der ersten Serie 27.500 Euro auf. Der wachsenden Bedeutung der Szene huldigen auch zunehmend die Hersteller, die Exponate aus ihren Museen und Magazinen in großer Zahl nach Stuttgart bringen und mit Experten aus den Häusern auch entsprechend kompetente Ansprechpartner mitliefern. In der schwäbischen Landeshauptstadt darf es nicht verwundern, wenn die Marken Porsche und Mercedes einen Schwerpunkt bieten. Doch nicht nur der lokale Aspekt erklärt die starke Zahl der Exponate und der Aussteller. Beide Marken genießen überproportional große Sympathien bei den Oldtimer-Fans.
Ob aktiver Oldtimer-Freund oder einfach nur Fan alter Autos, die 20 Euro Eintritt für eine Tageskarte scheinen gut investiertes Geld, denn die Sonderschauen unterstreichen den professionellen Anspruch der Veranstaltung. „Sind denn schon wirklich drei Jahrzehnte vergangen, seit BMW mit dem M5 die erste Hochleistungslimousine gebaut hat“, fragt sich der Besucher verwundert, angesichts der präsentierten Palette von M-Fahrzeugen der ersten Generation. Was für ein verwegenes Konzept für die frühen Achtziger des vergangenen Jahrhunderts! Die Kombination einer Mittelklasselimousine mit dem Hochleistungs-Reichensechszylinder aus dem legendären Sportwagen M1. 286 PS trafen auf 1.430 Kilo Leermasse, die nach 6.5 Sekunden aus dem Stand Tempo 100 erreicht hatte und erst bei 245 km/h dem Luftwiderstand der kantigen Karosse Tribut zollen musste.81.000 Mark kostete die explosive wie exklusive Mischung. Dass das Konzept ein überschaubares Risiko mit sich brachte, ging auf die positiven Erfahrungen mit dem M6 zurück, der erstmals mit dem gleichen Motor in der BMW-Preisliste von 1983 für 89.500 D-Mark auftauchte. In der „Erlebniswelt Design“ können Besucher Auto-Designer bei der Arbeit beobachten. Praktische Anschauungsarbeit zur Entwicklung im Design lieferte Opel mit den Studien „CD Concept“ von 1969 und dem „Opel Monza“, einem Highlight der IAA 2013. Und schließlich sind da noch ganz außergewöhnliche Exponate, wie beispielsweise der exzentrische „Autobahnkurier 116i“, den Isdera 2006 als Einzelstück mit zwei Fünfliter-V8 von Mercedes anfertigen ließ, die 600 PS mobilisierte. Der „Autobahnkurier“ steht unmittelbar neben seinem Vorbild und Urahn, den Mercedes 540 K von 1936, dessen Reihenachtzylinder mit Kompressor-Aufladung 180 PS und damit für seine Zeit nicht weniger atemberaubende Leistungswerte mobilisierte.
Thomas Lang/amp