Retromobile in Paris – Automobile Helden unter sich
Retromobile in Paris – Automobile Helden unter sich. Automobile und Wein haben einiges gemeinsam – wenigstens, wenn sie in die Jahre kommen und sich Mittelmaß und Hochwertiges trennen. Mit Sorgfalt gelagert und entsprechend gepflegt, entwickeln sich das einst profane Blech und der in jungen Jahren temperamentvolle Traubenmost zu gesuchten Raritäten, die von emotionalen Tieffliegern als lukrative Geldanlage empfohlen werden. Mag sein, dass sich die Rendite von klassischem Blech und edlem Tropfen sehen lassen kann – doch was ist der staubtrockene Buchgewinn schon gegen eine Ausfahrt oder den Genuss einer flüssigen Rarität in entsprechendem Rahmen.
Für die Freunde des automobilen Altmetalls ist die Pariser „Retromobile“ Anfang Februar ein Fixpunkt im Kalender. Die Klassiker-Messe an der Seine ist die Mutter aller vergleichbarer Oldtimer-Veranstaltungen und bietet dem an Rendite interessierten Investor ebenso reizvolle Beutestücke wie dem begeisterten Flaneur, der vor allem sehen und genießen will. In diesem Jahr feiert die Messe ihren 40. Geburtstag – unter anderem mit einem Rückblick auf die automobile Landschaft im Jahr 1976.
Die Auftritte der Markenclubs, Auktionen – in diesem Jahr kommt bei Artcurial unter anderem ein Ferrari 335S Scaglietti aus dem Jahr 1957 unter den Hammer (Schätzpreis zwischen 28 und 32 Millionen Euro) – und Stände mit mehr oder weniger geordneten Ersatzteilen aus allen Epochen des Automobils lassen die Retromobile zu einer Mischung aus Show und Flohmarkt mutieren.
Die Atmosphäre ist vor allem benzingeschwängert. Mit viel Sachkunde beladene Zeitgenossen flanieren durch die Reihen, ohne sich dabei – wie vielfach bei anderen Messen – von weiblichen Reizen ablenken zu lassen. Hier ist der Homo automobilensis unter sich. Er freut sich an den Sonderausstellungen, bei denen Modelle, die mehr als 100 Jahre hinter sich gebracht haben und noch immer fahren, gefeiert werden und wundert sich über technische Skurrilitäten, die heute noch befremdlicher anmuten als vor vierzig Jahren als sie erdacht wurden.
Vor vierzig Jahren, als sich ein paar Pariser Oldtimerfreunde in den Kopf gesetzt hatten, eine Messe für altes Blech zu veranstalten, gründete am anderen Ende der Welt ein gewisser Steve Jobs zusammen mit einigen Freunden sein Unternehmen, das bald Weltneuheiten mit einem angebissenen Apfel auf den Markt bringen sollte. In Paris startete die erste Concorde der Air France Richtung Rio, schluckte Peugeot den Konkurrenten Citroën, und mit Niki Laudas Feuerunfall endete die Grand-Prix-Geschichte der Nordschleife des Nürburgrings.
Was vor vier Jahrzehnten als bessere Ersatzteilbörse begann, nutzt die Industrie heute zwar inzwischen zur Selbstdarstellung, doch die Clubs und Händler, die Tauschbörsen und die verschiedenen Foren haben den ursprünglichen Charakter der Messe nicht nachhaltig verändern können. Als Zeugen für das Jahr 1976 stehen in Paris unter anderem der legendäre und, wie ein Blick auf das aktuelle Straßenbild zeigt, unzerstörbare Mercedes W123 sowie der Volkswagen Golf GTI auf dem Podium. Im gleichen Jahr brachte der Alfa Sud Sprint italienisches Flair in die Vorstädte.
Mit dem von einem ursprünglich aus dem biederen Renault 30 stammenden und entsprechend aufbereiteten Sechszylinder im Heck verstand sich damals die Alpine A310 V6 als Porsche- und Mercedes-SL-Jäger, während BMW mit der Sechser-Reihe endgültig in die Premium-Liga rollte. In diesem illustren Feld wirkt der Renault 14, von dem sich das damalige Staatsunternehmen einiges erhoffte, wie ein Fremdkörper. Das schwächliche Modell (57 PS) konnte nie die Erwartungen erfüllen, verschwand bald wieder aus dem Modellprogramm, und ist heute sogar in der französischen Provinz, wo die Uhren noch immer ihren eigenen Gang haben, eine äußerst seltene Erscheinung.
Von einem ganz anderen Kaliber ist ein weiterer Schwerpunkt der Ausstellung, der neben dem optischen auch akustisch unvergessliche Erlebnisse bieten wird. Den Machern ist es dank der Zusammenarbeit mit dem britischen National Motor Museum in Beaulieu gelungen, einige frühe Rekordwagen an die Seine zu holen, darunter den Napier aus dem Jahr 1903, heute der älteste noch existierende britische Rennwagen. Unter der Haube der beeindruckenden Blechhülle stampft ein 7.7 Liter-Vierzylinder, dessen Botschaft unmissverständlich lautet: „Ich meine es ernst, ich will nicht spielen“. Wie sich das anhört können die Retromobile-Besucher am eigenen Trommelfell erleben, wenn die Urgewalt losgelassen wird.
Vor gut 110 Jahren stand vor den rekordsüchtigen Piloten eine Zahl wie ein Menetekel: Sie wollten endlich schneller als 200 km/h über die Piste rasen. Zu diesem Zweck entstand 1905 im Pariser Vorort Suresnes aus zwei Vierzylindern ein V8-Monster, das einen Hubraum von 25.5 Liter erreichte, was sich für die damalige Zeit ungeheuerliche 200 PS übersetzte. Leider hatten die Anstrengungen kein Happy End, denn am Ende erreichte der Darracq nur 197 km/h. Auch dieser Motor wird in Paris noch einmal zum Leben erweckt werden.
In Turin arbeiteten die Fiat-Mechaniker im Jahr 1911 an einem ganz speziellen Boliden. Der S 76, auch „Bestie von Turin“ genannt, sollte endlich den damals unangefochtenen Rekordwagen Blitzen Benz in die Schranken weisen und das mit einem 30 Liter großen Antrieb, der es auf 300 PS brachte. Pietro Bordini wagte sich hinter das Lenkrad, doch trotz seines aufopferungsvollen Kampfes mit der unberechenbaren Mechanik erreichte er nicht mehr als 180 km/h.
Erst der zweite Besitzer, ein offensichtlich todesmutiger russischer Fürst, erreichte 1913 in Ostende 210 km/h und entthronte endlich den Stuttgarter Rekordwagen. Der britische Sammler Duncan Pittaway entdeckte den italienischen Rekordler in einer australischen Garage und restaurierte die „Bestie“. Auch der Fiat wird in Paris seine unvergessliche akustische Note hinterlassen.
ww/amp