Seat Showcar
Es sieht ganz so aus, als ob Volkswagen-Tochter Seat die lang ersehnte Wende geschafft hat. 2014 erzielte das Unternehmen mit 7,5 Milliarden Euro einen neuen Umsatzrekord, zu dem der Seat Leon wesentlich beigetragen hat. Mehr als 150.000 ausgelieferte Fahrzeuge – 50 Prozent mehr als im Vorjahr – sind für Seat-Vorstandsvorsitzenden Jürgen Stackmann ein klarer Hinweis dafür, „die Leon-Produktformel auf die restliche Modellpalette anzuwenden.“
Wie wir uns das vorzustellen haben, zeigte Seat Anfang März auf dem Genfer Automobilsalon mit dem „20V20“ – sprich „Vision Veinte veinte“, das im Spanischen für „20 20“ steht und den Ausblick auf die nächsten fünf Jahre meint. Dabei handelt es sich um ein viertüriges SUV-Coupé im Format eines Audi Q5 oder Porsche Macan. Nächste Station des Seat 20V20 wird die Messe „Auto Shanghai 2015“ sein. Dazwischen machte das feine Designstück Station am Firmensitz im spanischen Martorell. Für uns eine gute Gelegenheit, das Showcar zum Fotoshooting auf die nur wenige Kilometer entfernte Rennstrecke „Parcmotor de Castellolí“ zu bitten und auf einer ersten Proberunde nachzuempfinden, wie Seat das für die Marke völlig neue Segment der Sports Utility Vehicles (SUV) interpretiert.
Das erste serienmäßige Seat-SUV ist schon für 2016 angekündigt. Eine Nummer kleiner zwar als der hier gezeigte 20V20. Aber es würde uns nicht wundern, wenn der Neue nicht auch wesentliche Gene des Show-Seat mitbekommen hätte. Der stellt schließlich „die konsequente Weiterentwicklung der Seat Produkt-DNA dar, die mit dem Seat Leon bereits sehr erfolgreich umgesetzt wurde“, sagt Amín Sádek García, der uns zur Rennstrecke begleitet und mit seiner Mannschaft im Seat Centro Técnico Martorell fürs Exterieur-Design des 20V20 zuständig war. In der Tat: aktueller Leon und 20V20 zeigen beim Faltenwurf der Karosserie Parallelen. Die Dreiecksform der Voll-LED-Leuchten, die Linienführung an der Fahrzeugfront, die sich unter Einbeziehung des markanten Grills beim 20V20 stärker noch als bisher als großes X interpretieren lässt. Und nicht zuletzt die Seitenlinie, die an der Oberkante des Scheinwerfers beginnt, in der hinteren seitlichen Tür ausläuft und wenige Zentimeter später etwas höher wieder ansetzt, um nur beim Showcar auch noch mit scharfer Kante um das Fahrzeugheck herumzuführen.
Die Unterbrechung der Seitenlinie ist bei keiner Konzernmarke so auffällig, frage ich Señor García. „Das macht Seat aus, aber nicht nur das“, sagt er, und deutet auf das kantige Heck, welches in seiner Linienführung das große X der Front und die Dreiecksform der Leuchten wieder aufnimmt. Vom Heck aus entwickelt der Seat-SUV eine Spannung und Dynamik, die García mit einem „Pfeil, kurz vor dem Abschuss“ vergleicht. Spitze dieses Pfeils ist das erhabene, große Seat-Symbol im kantigen Kühlergrill, der mit großen schwarzen Lufteinlässen einen starken Kontrast zum im intensiven Ultra-Orange lackierten Blech liefert. Diese Skulptur, die mit ihren „noch nie so scharf geschnittenen Kanten auch eine Herausforderung an die Karosseriebauer darstellt“, so García, steht auf gewaltigen 20 Zoll Alus mit Niederquerschnittsreifen im Format 275/45. Ein Blick in den gut 500 Liter großen Kofferraum zeigt, dass die Seat-Konstrukteure bei aller Dynamik des 20V20 auch praktisch gedacht haben. Zwei maßgeschneiderte Gepäck-Trolleys sind im Kofferraumboden verankert – und der Personal Mover. Ein Longboard mit Elektromotor, mit dem er Fahrer des Seat 20V20 die letzten Meter vom Parkplatz zum Büro oder nach Hause dynamisch und sportlich zurücklegen soll. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, wie eine erste Balanceübung auf diesem Board ohne Lenker zeigt.
Da nehmen wir doch lieber hinterm Lenkrad auf wahrlich noch handgemachten Sportsitzen Platz. Ultra-orange Nähte an Sitzen und Lenkrad korrespondieren mit der auffälligen Lackierung. Edel ist die Anmutung der Materialien. Den Innenraum prägen Aluminium, hochwertige Stoffe und naturbelassenes Leder der italienischen Manufaktur Poltrona Frau. Das Cockpit verweist in seiner Grundform wiederum auf den aktuellen Leon und zeigt doch mit seinem spannungsvoll, kantigen Design eine hoch-dynamische Fortführung dieser Linie.
Technisch bedient sich der 20V20 der volldigitalen Technik des „virtual cockpit“, wie sie konzernweit erstmals in größeren Stückzahlen serienmäßig beim Audi TT gezeigt wurde. Da ist alles möglich. Im durchgängig schwarzen, hochglänzenden Panel sind drei TFT-Bildschirme eingefügt. Der größte von ihnen liefert mit 12,3 Zoll Diagonale die wesentlichen Fahrerinformationen, während sich die Navigations-, Entertainment- und Connectivity-Funktionen auf die weiteren TFT-Screens verteilen.
Ein so genannter Personal Device, ein fein gestalteter „Handschmeichler“ in der Form einer großen Münze, der in einer magnetischen Fassung auf der Mittelkonsole Platz findet, beherbergt den Startknopf und kann doch noch viel mehr. Er dient zur Individualisierung des „Seat Drive Profile“ von der Sitzeinstellung bis zur Klimatisierung und wird nach der Fahrt mitgenommen. Außerhalb des Fahrzeugs funktioniert dieses Personal Device als mobiles Navigationssystem, aber auch als Fernbedienung für alle nur denkbaren Funktionen bis hin zur Ladesteuerung bei Plug-in-Hybridversionen. Wir drehen die ersten Runden mit dem Showcar auf der Rennstrecke. Vorsichtig und nur für die Fahraufnahmen. Aber so lässt sich doch schon mal nachvollziehen, wie übersichtlich sich dieses gut viereinhalb Meter lange Gefährt im Straßenverkehr bewegen ließe. Dass es im Ernstfall auch sehr flott voran gehen würde, daran kann kein Zweifel bestehen angesichts der möglichen Motorisierungen. Der 20V20 basiert auf Volkswagens modularem Querbaukasten MBQ, und der ermöglicht derzeit hocheffiziente TDI bis 240 PS. Die TFSI-Vierzylinder liefern Leistungen bis 300 PS und mehr. Bestimmt genug. Auch für einen Modell-Athleten wie den Seat 20V20.
Tim Westermann/amp