Sekundenschlaf – Auch ohne Übermüdung eine Gefahr
Die Augenlider fallen zu, der Kopf kippt kurz zur Seite, der Tacho zeigt 130 km/h. Sekundenschlaf ist eine der gefährlichsten Ursachen für Autounfälle. Denn wenn die Phase des Einnickens tatsächlich nur eine Sekunde und nicht länger dauert, legt ein Fahrzeug bei einem Tempo von 130 km/h in dieser Zeit völlig unkontrolliert 36 Meter zurück. Und 26 Prozent von 1000 in einer Umfrage des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) und der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) Befragten gaben an, mindestens einmal schon am Lenkrad eingeschlafen zu sein.
Die Dunkelziffer ist hoch
Dabei ist dies nur die Spitze des Eisbergs. Denn die Zahlen des Bundesamts für Statistik erfassen nur Unfälle mit Personenschäden, als Müdigkeits-Crash werden sie nur dann registriert, wenn der Verursacher dies explizit zu Protokoll gibt. Im Jahr 2016 wurden demnach 1871 Übermüdungsunfälle verzeichnet, die Dunkelziffer, so die Fachleute, liegt weitaus höher.
Die offensichtliche Ursache ist nur die halbe Wahrheit
Die Ursachen für das Nickerchen auf der Überholspur scheinen auf der Hand zu liegen. Zu lange würde der Fahrer am Lenkrad sitzen, zu wenig habe er zuvor geschlafen. Doch ist dies nur die halbe Wahrheit. Gewiss handeln viele Wagenlenker tatsächlich unverantwortlich, wenn sie, von Eile und Ehrgeiz getrieben, zu große Strecken in Angriff nehmen und sich der Körper mit seinen Bedürfnissen unterwegs das holt, was ihm zusteht. Fatal ist obendrein, dass sich 43 Prozent der Betroffenen sicher waren, den Moment des Einschlafens vorhersehen oder gar registrieren zu können. Untersuchungen in Fahrsimulatoren mit EEG und Videoaufzeichnungen haben jedoch nachgewiesen, dass die meisten gar nicht wahrnehmen, wenn ihr Gehirn sanft in den Schlafmodus schaltet.
Schlafstörungen als Auslöser
Sekundenschlaf ist häufig eine Ursache von Schlafstörungen, die Wissenschaftler als Schlafapnoe-Syndrom (SAS) bezeichnen. Der Begriff leitet sich vom griechischen Wort Apnoia – Nicht-Atmung – ab und bezeichnet eine Krankheit, unter der fast zehn Prozent der Männer und vier Prozent der Frauen leiden. Ausgelöst wird der Atemstillstand durch eine starke Entspannung der ringförmigen Muskulatur um die oberen Atemwege, die hierdurch verschlossen werden. Der Körper stellt die Atmung ein, erst der steigende CO2-Gehalt des Blutes führt zu einer Weckreaktion. Der Atemstillstand kann unterdessen bis zu einer Minute dauern und mehrmals in einer Stunde auftreten. Die Gefahren für Herz und Kreislauf sind dabei erheblich.
Die Erholung bleibt aus
Durch die häufigen Unterbrechungen verliert die Schlafphase ihre physiologische Struktur, die Erholungswirkung wird weitgehend ausgesetzt, was zu erhöhter Müdigkeit am Tag führt. Therapiert wird SAS hauptsächlich mit Atemgeräten und Masken, die während des Schlafs einen sanften Überdruck in den Atemwegen erzeugen und so deren Zusammenfallen verhindern. Die meisten behandelten Patienten berichten von deutlich geringerer Tagesmüdigkeit und stark verbesserter Konzentrationsfähigkeit. Autofahrern, die sich trotz einer bekannten SAS nicht behandeln lassen, kann die Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug zu führen, abgesprochen, oder gar die Fahrerlaubnis entzogen werden.
Assistenten sollen Schlimmes verhindern
Um die Auswirkungen des Sekundenschlafs ganz allgemein zu bekämpfen, setzen vor allem europäische Hersteller auf sogenannte Müdigkeitswarner, die das Fahrverhalten aufzeichnen und bei Abweichungen der Ist- von den Soll-Werten eine Fahrtunterbrechung empfehlen. Meist geschieht dies durch optische oder akustische Signale, oft wird eine Kaffeetasse im Kombiinstrument eingespielt, die als Pausenempfehlung verstanden werden will. Diese Müdigkeitserkennung funktioniert nach Ansicht der Experten weitgehend zuverlässig. Oft jedoch, so beklagen sie, würden Fahrzeuglenker die Empfehlung ignorieren und stattdessen dem Termindruck oder der Sehnsucht nach einer schnellen Heimkehr nachgeben.
Die Zeichen sind gut zu bemerken
Die Anzeichen von Übermüdung sind klar zu bemerken. Häufiges Gähnen und brennende Augen sind untrügerische Indizien für Schlafmangel. Auch vermehrtes Blinzeln und schwere Augenlider lassen derartige Rückschlüsse zu. Das Spurhalten fällt schwer, die Erinnerung an die gerade zurückgelegten Kilometer fehlt. Das dichte Auffahren auf das vorausfahrende Fahrzeug, das damit einhergeht, steigert das Unfallrisiko zusätzlich. Lindern lässt sich die Müdigkeit einzig durch Schlaf.
30 Minuten sind ideal
Beim Erkennen des Schlafmangels empfiehlt der TÜV Süd eine unverzügliche Pause einzulegen. Der Kurzschlaf von etwa 30 Minuten sei ideal, denn nach 45 Minuten kann die Tiefschlafphase einsetzen und das Aufwachen schwerer fallen. Hierzu die Rückenlehne des Sitzes zurückstellen, die Augen schließen und regelmäßig atmen. Überraschend: Wer vor der kurzen Schlafpause einen Kaffee trinkt, wird leichter wach. Denn die Wirkung des Koffeins setzt erst nach eben diesen 30 Minuten ein, es hindert also nicht am Einschlafen, sondern hilft beim Aufwachen.
Pausen einplanen
Am besten ist es, bei einer längeren Reise von vorneherein alle zwei Stunden eine Pause einzuplanen, die je nach dem entweder für Schlaf oder aktive Bewegung genutzt wird. Überdies bietet sich die Pause für einen Fahrerwechsel an. Beifahrer sollten im Zweifel auf einen Fahrerwechsel oder eine Pause bestehen, rät das Goslar Institut für verbrauchergerechtes Versichern. Unwirksam sind dagegen die „Geheimtipps“ der Vielfahrer. So bringt selbst ausführliches Selbstkneifen die Aufmerksamkeit am Lenkrad nicht zurück, auch das Fenster zu öffnen hat kaum Erfolg. Weder laute Musik noch Kaugummi kauen kann den Sekundenschlaf verhindern, selbst Energydrinks entbehren der gewünschten Wirkung. Es sei denn, sie werden in großer Zahl konsumiert und der unweigerlich steigende Harndrang erzwingt die Rast auf dem Parkplatz. Die dann eben zu einer kleinen Schlafpause genutzt werden sollte. (ampnet/mk)