Ist beim Automobilhersteller Volvo die Rede von einem Nachfolgemodell, muss immer noch ein zweites Mal hingeschaut werden. Denn bei den Schweden heißt Nachfolger nicht gleich Nachfolger. Im Jahr 1966 heißt das „Wir lassen die Modellreihe 140 auf die Straße, verkaufen den Amazon aber noch ein paar Jahre weiter.“ Aus den paar Jahren wurden in diesem speziellen Fall genau vier Jahre. In dieser Zeit präsentierte Volvo allerdings auch schon die restlichen Familienmitglieder des Mittelklassewagens P144, wobei das P für Personvagn stand und eigentlich immer weggelassen wurde.
Der zweitürige 142, der fünftürige Kombi 145, der 164 mit Reihensechszylinder und der 145 Express mit Hochdach bildeten einen bunten und äußerst sehenswerten Volvo-Clan. Insgesamt wurden in neun Produktionsjahren 523.808 Exemplare produziert. Der Einstiegspreis lag am 22. August 1966 bei 12.000 DM für einen 144S. Einen Ford Mustang mit Hardtop gibt es zum selben Zeitpunkt für 16.100 DM, einen VW 1500 für 5.435 DM und einen BMW 2000 für 11.475 DM. Doch zurück zum Volvo.
„Das Funktionelle ist oft das Schöne. Man folgt den Gesetzen der Natur und macht die Dinge nicht komplizierter, als sie wirklich sind. Funktionelle und vernünftige Lösungen sind oft die attraktivsten“, schwärmte damals Jan Wilsgaard, der von 1950 bis 1991 für das Design der Fahrzeuge aus dem Hause Volvo verantwortlich war.
Das hervorstechendste Merkmal des 144er war das 2×3-Bremssystem. Hier werden beide Vorderräder von beiden Bremskreisen versorgt, so dass bei dem Ausfall eines Kreises nur 20 Prozent der Bremskraft verloren gehen. Die Konkurrenz verlor gleich 50 Prozent. Abgelöst wurde dieses innovative System erst mit der Einführung des ABS. Für die Verzögerung selbst kamen rundherum Scheibenbremsen zum Einsatz. Gleichzeitig sorgten serienmäßig Sicherheitsgurte und das Weglassen von frei herumstehenden Teilen im Interieur für ein Mehr an Sicherheit.
Volvo war aber schon damals nicht nur auf die Sicherheit der Insassen, sondern auch auf den Erhalt der Umwelt bedacht. Denn nicht nur heute, 50 Jahre später, sorgen kalifornische Abgasgesetze für so manch Sorgenfalte in den Gesichtern der Automobil-Bosse. Und das, wo doch jeder gern im Land des Dollars Kunden gewinnen will. Genau aus diesem Grunde hielt sich, wie auch heute noch, Mitte der 60er-Jahre nicht jeder daran oder versuchte zumindest diese Gesetze irgendwie zu umschiffen. Die Schweden sind da anders. Die Abgasreinigung des 144 erfolgte unter anderem durch ein lastabhängig betätigtes Regelklappensystem im Ansaugkrümmer und durch temperierte Ansaugluft. 1975 bekam der letzte Jahrgang des 164 als erstes Serienfahrzeug der Welt einen ungeregelten Katalysator im Abgasstrang verpasst.
Neben all den technischen und sicherheitsrelevanten Finessen, wies der 144 aber auch eine hohe Alltagstauglichkeit auf. Der mit 4.64 Metern Länge und einem Radstand von 2.60 Metern ausgestattete Volvo war länger und breiter als seine Vorfahren Amazon und der Buckelvolvo. Trotz seines 1.44 Zentimeter dicken Blechs bot er somit einen sehr geräumigen Innen- und auch Kofferraum. Letzterer feierte in dem 145er im Jahr 1967 seinen Höhepunkt. Der Kombi war so beliebt, dass er sogar in den USA den Station-Wagon salonfähig machte. 1.90 Meter Laderaumlänge und eine versenkbare Kinderbank im Laderaum sorgten für strahlende Kundengesichter. Die Speerspitze der 140er Baureihe stellte der 164er dar. Zur Serienausstattung des mit einem 3.0 Liter-Reihensechszylindermotor ausgestatteten Topmodells gehörten unter anderem ein höhenverstellbarer Fahrersitz mit Echtleder, justierbare Lendenwirbelstützen, Klimaanlage und eine Servolenkung. Das ebenfalls erhältliche Automatikgetriebe vereinfachte zwar das Fahren, doch trieb es seinen Besitzer zu noch regelmäßigeren Tankstellenbesuchen. 22.600 DM und mehr ließen sich solvente Käufer des 164 E im Jahr 1973 aus ihren Geldbeuteln entlocken.
Wer sich heutzutage auf die Suche nach gut erhaltenen Exemplaren des 144 macht, muss viel Glück haben. Denn zum einen werden sie nur zu gern als Ersatzteillager für die Nachfolgegeneration der 200er hergenommen. Zum anderen gibt es einige Problemstellen, bei der nur zu gerne der Rost sein Unwesen treibt. Vor allem der Windschutzscheibenrahmen bietet ein gefundenes Fressen für die rot-braune Plage. Hinzu kommen schlecht geklebte Drehfenster-Scharniere und Verschlüsse sowie sehr oft vergilbte Kunststoff-Chromteile am Heck.