VW wäre beinahe ein „Volkswagen of Great Britain“ geworden
80 Jahre ist es her, dass am 26. Mai 1938 der Grundstein des Volkswagenwerkes gelegt wurde. Keine zehn Jahre später wäre VW beinahe zur Kriegsbeute der Briten geworden. Die weithin unbekannte Geschichte einer grandiosen Fehleinschätzung.
Es begann mit einem streng geheimen Projekt
Die Briten haben in geheimen, aufwändigen Tests prüfen lassen, welches Erfolgspotential im VW Käfer steckt. Das Urteil: Man könne nicht empfehlen, „dieses Fahrzeug als Beispiel für erstklassige, moderne Konstruktionsverfahren zu betrachten, die von der britischen Industrie kopiert werden sollten“. Und ferner: „Angesichts des allgemeinen Erscheinungsbilds sind wir der Auffassung, dass die Konstruktion keine besondere Brillanz aufweist.“ Zu dieser Einschätzung kam 1947 ein spezieller Geheimdienst. Er wurde „British Intelligence Objektives Sub-Committee“ (BIOS) genannt. Unter dessen Führung ist die Studie entstanden. Der breiten Masse hingegen dürfte unbekannt sein, dass die Briten Mitte der 40er-Jahre mit dem Gedanken spielten, sich das Volkswagenwerk einzuverleiben. In Fachkreisen bekannt wurde diese Absicht etwa ein halbes Jahrhundert später, als der lange geheimgehaltene BIOS-Bericht als Buch (Die Akte: VW Käfer, Heel-Verlag, 1999) veröffentlicht wurde.
Der Verband aus Autoherstellern und Händlern wurde mit der Begutachtung beauftragt
Vor dem vernichtenden Urteil hatten Experten zwei Varianten des Käfers bis auf die letzte Schraube zerlegt: Eine Limousine Baujahr 1946 und einen auf dem Afrika-Feldzug der Deutschen von den englischen Truppen erbeuteten technisch baugleichen Kübelwagen der Wehrmacht. Monatelang wurde jedes Detail unter die Lupe genommen. Aufgrund mangelnder Kompetenzen wurde der einheimische Verband der Autohersteller und Händler (Society of Motor Manufactures and Traders) mit der Expertise beauftragt. Das waren damals die A.C. Cars Ltd. (für allgemeine Beurteilung), die britische Ford-Tochter (für Gesamtkonstruktion), die Humber Ltd. (für Konstruktion und Produktion), die Singer Motors Ltd. (für Fahrtests) sowie die Solex Ltd. (für Benzinzufuhr/Vergaser).
Der Käfer als Kriegsbeute hätte mehr Marktmacht bedeutet
Für die Untersuchung gab es zwei Fragen: Kann die britische Autoindustrie von den Deutschen etwas lernen? Und macht es womöglich Sinn, das Werk technisch auszuweiden und die Gerätschaften auf das Inselkönigreich in der Nordsee zu verfrachten? Im Zuge der Nachkriegsverwaltung hatten das Recht, den Käfer sowie das Werk mit den Patenten als Kriegsbeute zu beschlagnahmen. Etwa als Vorleistung auf spätere Reparationszahlungen der Deutschen.
Aber auch die britische Autoindustrie würde Beifall klatschen VW wäre so kein ausländischer Konkurrent mehr, der in späteren Friedenszeiten Autos nach England exporieren würde. Es wäre ebenfalls ein Inlandsmitbewerber mit dem man anders umgehen könnte. Er hätte aber auch im Modellprogramm eines englischen Herstellers landen können und der Name VW wäre nicht mehr existent. Das VW Werk wäre dann zur Montage von Autos für das britische Militär genutzt worden obwohl eben auch die komplette Werksdemontage im Gesperäch war.
Aufgrund von Arbeitsplatzknappheit, wäre eine Schließung des Werks fatal gewesen
Deshalb hat die „Control Commission for Germany/Britische Zone mit Sitz in Bad Oeyenhausen“ frühzeitig klar gemacht, dass sie Verantwortung für Deutschland trage und sich nicht zum Handlanger der britischen Industrie degradieren lasse. Ähnlicher Ansicht war das Board of Control, eine Art britischer Aufsichtsrat des Volkswagenwerkes, das inzwischen in Wolfsburg Motor Works umbenannt worden war. Man hielt eine Demontage des Betriebes für unverantwortlich gegenüber den Einwohnern Wolfsburgs, weil alternative Beschäftigungsmöglichkeiten fehlten. Stattdessen votierten die entscheidenden britischen Stellen wie das Außenministerium und der Schatzminister für eine Steigerung der Produktion, um den Volkswagen exportieren zu können.
Und wie man heute weiß, kam es völlig anders
Die Einschätzung, mit dem „German People’s Car“ wäre weder zivil noch millitärisch etwas anzufangen, war – angesichts des späteren Welterfolgs – absolut daneben. Die britische Autoindustrie mäkelte mit eindeutig egoistischen Absichten an der komplizierten Heizung, dem schwachen Motor, dem Geräuschpegel sowie dem Außendesign herum. Schon wenige Jahre später wurde dieses Urteil entkräftet. Der Käfer entwickelte sich rasch zum Weltbestseller und wurde bis zur Produktionseinstellung 1978 in Deutschland und 2003 in Mexiko mehr als 21 Millionen Mal verkauft.
VW-Chef Carl Hahn formulierte deshalb ironisch, dass Volkswagen „die erfolgsreichste Autofirma ist, die jemals von den Briten gegründet wurde“.
Und, als wäre es der ironische Schlussakkord einer fiktiven Story zur Automobilgeschichte, sind Jahrzehnte nach Ende der Käfer-Krabbelei urbritische Marken wie Mini, Rolls Royce und Bentley ausgerechnet in deutschem Besitz: Mini und Rolls Royce gehören zu BMW, Bentley zählt zum Reich der Fastbeute Volkswagen.